(Bearbeitungsstand vom 27. November 2023)
Wilhelm Reich (* 24. März 1897 in Dobzau, Galizien, Österreich-Ungarn; gest. 3. November 1957 in Lewisburg, Pennsylvania, USA) war ein Arzt, Psychoanalytiker und der Begründer
der Körperpsychotherapie. Er war Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft und Dozent am Berliner Psychoanalytischen Institut sowie Gründer der „Sozialistischen Gesellschaft für
Sexualberatung und Sexualforschung".
Als Jude und Kommunist von den Nationalsozialisten verfolgt, floh Reich 1933 nach Skandinavien. Sein Versuch, Marxismus und Psychoanalyse zu verbinden, führte 1934 zu seinem Ausschluss aus der
Kommunistischen Partei und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 1939 emigrierte er in die USA und widmete sich hier vor allem der Erforschung der von ihm als „Orgon" bezeichneten
Lebensenergie.
Annie Reich (geb. Pink, verh. Rubinstein, * 9. April 1902 in Wien; gest. 5. Januar 1971 in Pittsburgh Pennsylvania), war eine Psychoanalytikerin und Ärztin und Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Von 1960 bis 1962 war sie Vorsitzende der New York Psychoanalytic Society. 1933 musste Annie Reich aus Berlin fliehen, ließ sich in Prag als Analytikerin nieder und emigrierte 1938 in die USA.
Wilhelm Reich - Allein. 3. April 1952.
Begegnung mit der Psychoanalyse
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Vorzüglicher Lehrer mit Steckenpferden
Psychoanalytisch-politische Mission
Die „rote Tintenburg“ und Flucht
IPV und KPD distanzieren sich von Reich
Oslo – konflikthaft aber produktiv
New York. Von Bionen zur Orgon-Energie
Orgon, Schlüssel zur politischen Macht
Wolkenbrecher gegen tödliche Orgon-Energie (DOR)
Wilhelm Reich entgleitet die Realität
Reich wird Opfer willkürlicher Prozesse
Heike Bernhardt: Besuch in Yuzhynets, Ukraine, 16. Mai 2018
Video: Die Frauen von Yuzhynets
Heike Bernhardt: Besuch in Reichs Orgonon, Rangeley Maine, Sommer 1999
Berliner Adressen von Wilhelm Reich
1930 Berlin-Schönebg. Schwäbische Str. ?
Frühjahr 1931 – Feb. 1933, Berlin-Schmargendorf, Schlangenbader Straße 87
1932, 1933 bei Lindenberg, Elsa, Südwestkorso 50a. (Atelierwohnung)
Wilhelm Reich zieht in seinem einsamen Monolog eine bittere Bilanz. Er hofft, dass seine Worte mit Achtung und Respekt für seinen großen Einsatz für Orgon aufgenommen werden. Weder Freunde noch Kollegen hätten seine Forschungen verstanden und ihn wirklich unterstützt – obwohl es sich um Menschen handelte, denen er vertraute. Seine Entdeckungen stoßen auf heftigen Widerstand, der strukturell verankert sei. Trotzdem bleibt er von der Bedeutung von ORANUR für die Entwicklung von Medizin und Biologie, Philosophie und Naturwissenschaft überzeugt.
Zur Biographie
Wilhelm Reich wurde am 24. März 1897 in Dobrzanica (Galizien, heute Ukraine) geboren. Er war der älteste Sohn von Leon Reich (1868 - 3. Mai 1914) und Cecilia Reich, geborene Roniger (27. September 1875 - 1. Oktober 1910) https://www.wilhelmrei.ch/leon-cecilia-reich. Seine Schwester starb kurz nach ihrer Geburt. Sein Bruder Robert (1900 -1926) war drei Jahre jünger. Die Familie war wohlhabend und tief in der deutsch-österreichischen Kultur verwurzelt. Zu Hause wurde Deutsch gesprochen und der erste Sohn - nach dem deutschen Kaiser - „Wilhelm“ getauft. Den Kindern wurde vermittelt, dass sie einer gehobenen Schicht angehörten – so durften sie weder mit den Bauernkindern noch mit jiddisch sprechenden Kindern spielen. Dagegen galt das Hebräische als Ausdruck tiefer Verbundenheit mit der jüdischen Tradition und den väterlichen Vorfahren, unter denen sich ein berühmter Rabbi befunden hatte. „Man verstand sich als jüdischer Adel“ (nach Nitzschke 2007, S. 201). In der angesehenen Familie befanden sich mehrere Akademiker und auch Abgeordnete im österreichischen Landtag.
Kurz nach Wilhelm Reichs Geburt siedelte die Familie in den ukrainischen Teil Österreichs über, nach Juinetz (Bukowina, heute Rumänien). Leon Reich wurde Teilhaber eines riesigen Landbesitzes von acht Quadratkilometern, der dem Großonkel seiner Frau, Joseph Blum, gehörte. Seit 1907 konnte Leon Reich sein eigenes Gut bewirtschaften (Nitzschke 2007, S.200). https://www.wilhelmrei.ch/back-in-the-ussr. Auf dem Gut wurden vor allem Rinder gezüchtet. Der größte Abnehmer des Fleisches war die deutsche Regierung, die es für die Armee benötigte.
Nach der Schilderung von Reichs zweiter Ehefrau, Ilse Ollendorff (1975), regierte Reichs Vater als Feudalherr. Er war cholerisch, schlug die Kinder bei dem geringsten Vergehen und bewachte seine Frau eifersüchtig. Aber er nahm seine Söhne auch mit auf die Jagd und lehrte sie den Umgang mit dem Gewehr. Die Brüder waren einander ziemlich ähnlich. Beide waren jähzornig wie der Vater, intelligent und in ständiger heftiger Konkurrenz miteinander.
Eigentlich aber hielt sich Wilhelm Reich für den Sohn eines Bauern, der mit seiner Mutter ein Verhältnis gehabt hätte. Später behauptete er, der Sohn eines Mannes aus dem Weltraum zu sein. Cecilia Reich, knapp zehn Jahre jünger als ihr Ehemann, war eine gute Hausfrau - nicht besonders gebildet und intelligent, aber erotisch sehr anziehend. Wilhelm liebte seine Mutter ebenso eifersüchtig, wie sein Vater es tat. Er war ihr aber auch dafür dankbar, dass sie ihn vor dessen Schlägen schützte. Mit seinem Bruder war er in ständiger Rivalität um die Gunst der Mutter und der Köchin Soscha.
Sexuelle Erfahrungen in der Kindheit nehmen in Reichs Tagebucheintragungen einen großen Raum ein. Er berichtet davon, wie er bereits mit vier Jahren versuchte, mit dem Kindermädchen, mit der er ein Bett teilte, sexuell zu verkehren. Seit dem 11. Lebensjahr habe er fast täglich Geschlechtsverkehr mit einem Stubenmädchen gehabt. Als er bemerkte, wie seine Mutter nachts in dem Schlafzimmer seines Hauslehrers verschwand, folgte er ihr und beobachtete sie beim Geschlechtsverkehr. In seinem Tagebuch notierte er auch seine Phantasien und inzestuösen Wünsche. Später diskutierte er seine eigenen Erfahrungen, in einer „Fallskizze“ verbrämt, im Sexuologischen Seminar (Über einen Fall von Durchbruch der Inzestschranke in der Pubertät in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1920, 7, S. 220-236). Leon Reich schöpfte Verdacht. Er nötigte seine Söhne gewaltsam ihm ihre Beobachtungen zu schildern. Unter diesem Druck berichtete Wilhelm seinem Vater von der Untreue seiner Mutter. Damit löste er eine Tragödie aus. Die Mutter unternahm mehrere Selbstmordversuche und starb schließlich am 1. Oktober 1910 (Nitzschke 2007, S. 201).
Die Kinder gingen nach dem tragischen Suizid der Mutter auf das Deutsche Gymnasium in Czernowitz. Hier lebte Wilhelm in einer Pension bei einer Familie. In den Ferien half er seinem Vater auf dem Gut. Bereits mit 15 Jahren besuchte Wilhelm Reich Bordelle, zwei Jahre später sogar täglich. (Sharaf 1994, S. 47 f). In dieser Zeit entwickelte er eine schwere Form von Schuppenflechte.
Leon Reich war völlig verzweifelt. Er folgte seiner Frau auf seine Weise: Er schloss eine hohe Lebensversicherung ab, stellte sich stundenlang ins eiskalte Wasser eines Teiches und gab vor zu angeln. Er erkrankte an einer Lungenentzündung. Es folgte eine Tuberkulose. Leon Reich starb am 3. Mai 1914. Die Lebensversicherung wurde nie ausgezahlt, weil die Versicherung sein Ende als absichtsvoll wahrnahm. Leo Reich hinterließ den Kindern kaum finanzielle Mittel, da er durch den Bankrott eines Onkels völlig verarmt war. Obwohl Wilhelm Reich nicht schuldig an der Tragödie seiner Kindheit war, muss man wohl davon ausgehen, dass ihn Schuldgefühle schwer belasteten. Auch seine drei analytischen Behandlungen konnten ihm vermutlich nicht helfen. Er brach alle ab.
Wilhelm Reich verwaltete nun, als 17-Jähriger, das Gut und legte 1915 nach Beginn des Weltkriegs das Notabitur ab. Er war ein ausgezeichneter Schüler. Das Gut lag in dem umkämpften Gebiet in der Bukowina. Reich trat 1916 als Einjährig-Freiwilliger in die österreichische Armee ein. Die meiste Zeit war er als Leutnant an der italienischen Front eingesetzt. Hier wurde besonders heftig gekämpft und eine Million Soldaten verloren ihr Leben, wurden verwundet oder blieben vermisst. Wilhelm Reich war der einzige seiner Division, der überlebte. Er litt an der schweren chronischen Schuppenflechte und war von Juni 1918 bis Kriegsende im Allgemeinen Krankenhaus in Wien zur Behandlung (Fallend 1997, S. 16). Reichs Biographen, Laska (2008) und Ollendorff (1975), heben unterschiedliche Aspekte von Reichs Verhältnis zum Krieg hervor. Ollendorff schreibt, dass Reich kein Pazifist gewesen sei. Er habe gern Leutnantsuniform und Sporen getragen, obwohl er bei der Infanterie war. Laska zitiert Reichs Beobachtungen, dass die Verknüpfung des Machtbedürfnisses einiger weniger Führer mit unsublimierten, rohen sexuellen Triebabkömmlingen zur Brutalität des Weltkriegs geführt hätte, und legt Reichs Distanzierung vom Krieg nahe.
Das Landgut war für Wilhelm Reich verloren. Es lag auf sowjetischem Territorium. Zusammen mit seinem Bruder und einem Freund bezog er in Wien eine kleine Wohnung und immatrikulierte sich zum Wintersemester 1918/19 zunächst an der rechtswissenschaftlichen Fakultät. Hier kam er zu dem Schluss, dass antisoziale Handlungen, also Verbrechen, einer seelischen Krankheit entspringen und diese Menschen nicht bestraft, sondern geheilt werden müssten. Er wechselte zum Medizinstudium. Sein jüngerer Bruder Robert verdiente für beide den Großteil des Lebensunterhalts, während Wilhelm studierte und Nachhilfestunden gab. Anschließend sollten die Rollen getauscht werden. Sie waren sehr arm und hungerten. Da Wilhelm Reich keine Zivilkleidung besaß, trug er seinen Militärmantel auch zu den Vorlesungen. Er studierte mit außerordentlicher Energie Medizin – aber auch Sexuologie und Psychologie und schloss das Studium bereits nach vier Jahren, am 10. Juli 1922, ab, anstelle der vorgesehenen sechs Jahre. Das war ihm als Kriegsteilnehmer gestattet.
Im Januar 1919 initiierte Otto Fenichel das „Wiener Seminar für Sexuologie“ im Rahmen des akademischen Vereins jüdischer Mediziner. Die ca. 20 Teilnehmenden aus unterschiedlichen Fakultäten fanden sich im Geist der Wiener jüdischen Jugendbewegung zusammen. Sie setzten sich für „freie“ Erziehung und von den patriarchalischen Traditionen befreite Sexualität ein (Nitzschke 2007, S.201, Fallend 1997, S. 13). Zu dem Kreis gehörten Studierende, deren Namen sich später in den psychoanalytischen Gesellschaften wiederfanden: Berta Bornstein, Annie Pink, Erwin Stengel, Grete Lehner und Edward (Eduard) Bibring und vor allem Siegfried Bernfeld, mit dem sich Reich anfreundete. Bernfeld war ein begabter Redner und einer der führenden Köpfe der Gruppe.
Wilhelm Reich war zunächst nur ein „stilles“ Mitglied. Er empfand die Art, wie seine Kommilitonen mit Sexualität umgingen, befremdlich, da er andere Erfahrungen gemacht hatte, und befasste sich nun theoretisch mit Sexuologie und hielt einen Vortrag über den Trieb- und Libidobegriff von Forel bis Jung (Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1922, 9, S.17 ff.; S.44-50; S.75-85). Diese junge analyseinteressierte Generation suchte den Austausch mit älteren Psychoanalytikern. Isidor Sadger, Theodor Reik, Eduard Hitschman und auch Alfred Adler referierten über Sexualität. Wahrscheinlich war es Otto Fenichel, der bereits seit Wintersemester 1915/1916 Freuds Vorlesungen an der Psychiatrischen Klinik besuchte, der Wilhelm Reich dazu einlud, ihn zu begleiten. Reich war sehr beeindruckt von Freud. Im Herbst 1919, als Fenichel in Berlin ein psychiatrisches Praktikum absolvierte, wurde Reich an seiner Stelle zum Leiter des Seminars gewählt (Fallend 1997, S. 17).
Wilhelm Reich begann bereits im Februar 1919 Psychoanalyse zu praktizieren. Mit seiner zweiten Patientin, der 19-jährigen Kindergärtnerin Lore Kahn, einer Studentin aus dem Seminar, hatte er eine Liebesbeziehung. Sie starb im November 1920 an einer Sepsis, vermutlich in Folge einer illegalen Abtreibung. Lores Eltern beschuldigten Reich, den Schwangerschaftsabbruch selbst vorgenommen zu haben. Im Dezember 1920 nahm sich ihre Mutter das Leben. Wilhelm Reich vertraute seine tiefen Schuldgefühle und seine Verzweiflung seinem Tagebuch an (Simkin).
Seine vierte Patientin, Annie Pink, war eine enge Freundin von Lore Kahn gewesen und wurde von vielen jungen Männern angeschwärmt. Sie war 18 Jahre alt und studierte Medizin. Sie verliebte sich in Wilhelm Reich und brach nach rund sechs Monaten die Analyse ab, um zu Hermann Nunberg, einem älteren Analytiker, zu gehen. Reich nahm heimlich eine sexuelle Beziehung zu Annie auf. Sie wurden entdeckt und Annies Vater bestand auf ihrer Heirat. Mit Otto Fenichel und Edith Buxbaum als Trauzeugen heirateten sie am 12. März 1922 informell. Am 17. März folgte die „offizielle“ Hochzeit (Simkin). Sie hatten zwei Töchter, Eva (27. April 1924 - 2008) und Lore (1928), und lebten zunächst bei den Großeltern Alfred und seiner zweiten Frau Malva Pink in einem Zimmer in Wien (Fallend 1997, S. 19 f, Priese 1999). Wilhelm Reich hatte weiterhin Liebesbeziehungen mit anderen Frauen (Simkin).
Fürsorgliche Eltern scheinen die Reichs nicht gewesen zu sein – so gaben sie ihre kleine Tochter Eva in ein öffentliches Waisenhaus, da sie vom 3. – 5. September 1925 zum IPAC Kongress nach Bad Homburg fahren wollten. Wilhelm Reich sprach dort Zur Struktur und Genese der „hypochondrischen Neurasthenie“. Eva erkrankte schwer und die Großeltern nahmen sie zu sich. Mitzi, Maria Milberger, wurde bis zum Umzug der Familie nach Berlin als Kindermädchen eingestellt.
In dieser experimentellen und folgenschweren Anfangsphase seiner Praxis gestattete Wilhelm Reich einem jungen ungarischen Arzt, eine Analyse regelmäßig aus einem Versteck heraus zu belauschen. Sándor Ferenczi erfuhr davon und gab die Begebenheit an die Komiteemitglieder, dem engsten Kreis um Sigmund Freud, weiter. Freud zog Reich zur Rechenschaft, und da er sonst „tüchtig, eifrig und anständig scheint, habe ich ihm den Jugendstreich erlassen“ (Fallend 1997, S. 19). Diese Episode mag amüsant klingen. Aber erinnert sie nicht daran, dass Reich selber heimlicher Beobachter des Liebesverhältnisses seiner Mutter mit seinem Lehrer gewesen war? Vielleicht suchte er auch nach jemandem, der ihn davor bewahrte, sich wiederum in eine Situation zu begeben, in der er für den Suizid einer Frau verantwortlich wäre.
Aufnahme in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV)
Karl Fallend (1997) schreibt von einer „zweiten Geburt“ der Psychoanalyse, als die junge Generation in die WPV einen frischen Wind brachte und die in die Jahre gekommene Mittwochsgesellschaft der Pioniergeneration aufmischte. Eduard Bibring, Edith Buxbaum, Willi Hoffer, Erwin Kohn, Grete Lehner (-Bibring), Annie Pink (-Reich), Jenny Pollak (-Wälder), Otto Sperling und Robert Wälder gehörten dazu. Reich bezeichnete sich selbst als „Hecht im Karpfenteich“. Mit knapp 23 Jahren nahm er im Februar 1920 zum ersten Mal an einer Sitzung der WPV teil. Nach seinem Vortrag Libidokonflikte und Wahngebilde in Ibsens Peer Gynt am 13. Oktober 1920 (in: W. Reich, Frühe Schriften, 1, Köln, 1977, S. 19 -77) wurde er ein halbes Jahr nach Otto Fenichel, der einige Monate jünger war als er, in die WPV aufgenommen.
Reich galt mit seiner Intelligenz, seinem Wissen und seiner großen Energie als Hoffnungsträger und Leitfigur der neuen Generation. Im Januar 1921 schickte ihm Sigmund Freud persönlich zwei Patienten zur Behandlung. Freud versuchte allerdings auch, sein Tempo etwas zu bremsen, indem er ihm nahelegte, seine Vorträge nicht abzulesen. Er würde damit auf die Zuhörenden wie ein Lokomotivführer wirken, der seinen Zug mit größter Geschwindigkeit lossausen lasse, während die Fahrgäste hinterherliefen und versuchten, ihn einzuholen (Ollendorff 1975, S.30 f). Reich ging nun selber in Analyse. Zunächst zu Isidor Sadger und anschließend zu Paul Federn (Nitzschke 2007, S.202). Beide Analysen brach er ab.
Seine psychiatrische Facharztausbildung durchlief er an der Psychiatrischen Klinik Wagner-Jaureggs unter Paul Schilder.
Dass sich in diesem energiegeladenen und beruflich voranstürmenden jungen Mann auch ein Musiker verbarg, der Klavier und Cello, später Orgel spielte und Mitglied des Schönberg-Vereins war, zusammen mit Alban Berg und Anton Webern, wirft ein Licht auf eine ganz andere Seite Reichs. In Kreisen von Musikern pflegte er Freundschaften – wie die zu dem Violinisten Rudolf Kolisch, dem Schwager Schönbergs. Wilhelm Reich spielte sogar eigene Kompositionen, die seine Biographin Ilse Ollendorff allerdings „sentimental, romantisch und etwas abgedroschen“ fand. Er bewunderte Bruno Walter und wäre gern wie er Dirigent geworden (Ollendorf 1975, S. 28 f.).
Reich als „vorzüglicher Lehrer“ mit „Steckenpferden“
In Berlin war 1920 eine psychoanalytische Poliklinik eröffnet worden. In einem Ausbildungsinstitut wurden erste Regularien einer fundierten psychoanalytischen Ausbildung entwickelt. Die Wiener nahmen dieses Modell zum Vorbild. Eduard Hitschmann war der erste Direktor des am 22. Mai 1922 in der Pelikangasse 18 gegründeten Ambulatoriums. Wilhelm Reich arbeitete von Anfang an mit, war ab 1923 erster Assistent und von 1924 bis 1930 stellvertretender Direktor der Poliklinik. Da alle Mitarbeiter noch völlig unerfahren waren, gründete er ein ‚Technisch-kasuistisches Seminar‘, in dem über die Behandlungen gesprochen wurde. Reich „hatte eine ungewöhnliche Begabung, sich in das seelische Kräftespiel in Patienten einzufühlen. Seine klinische Erfassung, seine technische Geschicklichkeit, vereint mit der Begabung, sich sprachlich plastisch auszudrücken, machten ihn zu einem vorzüglichen Lehrer. Unter seiner Leitung wurde das technische Seminar zu einer so hervorragenden Stätte des Lernens, dass selbst ältere Mitglieder regelmäßig daran teilnahmen“ (Diercks 2009, zitiert Richard Sterba). Reich arbeitete völlig systematisch. Er sah in der Störung der Genitalfunktionen das zentrale Symptom einer Neurose. Sein Ausgangspunkt waren eine Widerstandsanalyse und die Arbeit an der negativen Übertragung. Die therapeutische Arbeit bestand darin, die aufeinanderfolgenden Widerstände systematisch durchzuarbeiten mit dem Ziel einer vollständigen sexuellen Befriedigung („orgastische Potenz“) ohne Rückstände von Libido, die nach seiner Auffassung bei ihrer Stauung eine Neurose energetisch speisen würden (Fallend 1997, 24, FN27). Reich wurde damit zum Pionier der Ich-Psychologie und der Analyse der Abwehrmechanismen, der Anna Freud maßgeblich beeinflusste (Wagner 2005, S. 252).
Bei den älteren Analytikern meldete sich Unmut: Theodor Reik spottete, dass es sich um einen „Einjahresplan der Seelenwirtschaft“ handele, und beurteilte diesen vorgeformten Weg der Analyse als rückschrittlich. Paul Federn, Reichs Analytiker, forderte, dass Reich die Leitung des Seminars abgeben solle. Freud vermittelte: er schrieb an Reich, dass niemand besser als er in der Lage sei, Psychoanalyse zu unterrichten. Aber er vermische den Unterricht zu sehr mit „der Aufzucht von Steckenpferden“. Freud ermahnte ihn, seine persönliche Theorie und den Unterricht auseinanderzuhalten (Fallend 1997, S. 25: Freud an Reich, 27.07.1927).
Nach Annie Reich fühlte sich Wilhelm Reich bis 1927 als ein „unerhört ergebener, liebender, anbetender Sohn“ Freuds (Eissler 1952, S.19). Er wohnte nur ein paar Häuser von ihm entfernt, in der Berggasse 7 (IZP / VII / 1921 / 532), und konnte ihn jederzeit anrufen. Freud sei immer sehr freundlich gewesen (Eissler 1952, S.14).
In dieser produktiven Zeit entwickelte Reich seine Orgasmustheorie (Über Genitalität, 1924 in IZP 10. S. 164-179) und entwarf eine biologisch-naturwissenschaftliche Grundlage der psychoanalytischen Theorie. Es erschienen Der triebhafte Charakter. Eine psychoanalytische Studie zur Pathologie des Ich (Wien,1925) und Die Funktion des Orgasmus. Zur Psychopathologie und zur Soziologie des Geschlechtslebens (Wien und Leipzig,1927) – klinische Studien, an denen sich die jungen Analytiker orientieren konnten.
Wendung zur Politik nach einer lebensbedrohenden Krankheit
Im Winter 1926 bat Wilhelm Reich Sigmund Freud, ihn in Analyse zu nehmen. Freud willigte zunächst ein, machte aber einen Rückzieher, weil er sich entschloss, grundsätzlich keine Mitarbeiter zu analysieren (Eissler/ Annie Reich 1956, S. 14). Reich versank in eine schwere Depression und erkrankte im Februar 1927 an TBC. Ebenso wie der Vater war sein Bruder Robert ein Jahr zuvor an dieser gefährlichen Krankheit gestorben. Wilhelm Reich hatte Glück und konnte in Davos nach mehrmonatigem Heilaufenthalt gesund entlassen werden. Diese häufig tödlich verlaufende Krankheit hatte er überwunden, aber die Kränkung durch Freud entfremdete ihn, nach Annie Reich, von der psychoanalytischen Bewegung.
Zurück in Wien erlebte Reich dramatische Straßenkämpfe zwischen Faschisten und Sozialdemokraten mit mehr als 80 Toten und über 1000 Verletzten (am 15.7.1927). Der Justizpalast wurde aus Protest gegen die parteiische Rechtsprechung angezündet. Als Sozialdemokrat war Reich enttäuscht von den Parteifunktionären, denen es nicht gelungen war, die Führung der aufgebrachten Arbeiter zu übernehmen.
Reich lernte den kommunistischen Arzt Max Hodann aus dem Kreis um Magnus Hirschfeld kennen, der mit seinen sexualpolitischen Aufklärungsveranstaltungen ungeheuren Zulauf hatte und für Reich ein Stichwortgeber wurde. Zusammen mit der Hautärztin Marie Frischauf-Pappenheim, die ebenso wie Reich im Schönberg-Kreis verkehrte, gründete er die ‚Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung‘. Sie eröffneten sechs Beratungsstellen, an denen, neben Annie Reich, eine Reihe junger Analytiker tätig war, und leitete eine „Sexualberatungsklinik für Arbeiter und Angestellte“ (1.1.1929). Reichs Schwerpunkt verlagerte sich zunehmend auf die Bekämpfung des verheerenden Elends in der Arbeiterklasse (Eissler/W. Reich 1952, S. 53).
1929 besuchte er zusammen mit Annie für vier Monate die Sowjetunion. Die Kinder wurden bei dem Kindermädchen Mitzi gelassen (Reich Rubin, 2019, S. 17). Wilhelm Reich war begeistert von der fortschrittlichen Sozialgesetzgebung in der Sowjetunion, die Schwangerschaftsabbrüche gestattete. Da Verhütungsmittel für Frauen kaum existierten, war der Schwangerschaftsabbruch gängige, aber illegale Praxis zur Beschränkung der Kinderzahl. Stalin erklärte Abtreibungen 1936 für rechtswidrig und das enttäuschte Reich schwer. Annie Reich selbst musste sieben Abtreibungen durchmachen (Lore Reich Rubin 2019, S. 34).
Wilhelm Reich blieb weiter Sozialdemokrat und artikulierte nun seine Unzufriedenheit, indem er zusammen mit den beiden Gesinnungsgenossen Franz Hrach und Rudolf Schurk ein
„Komitee der revolutionären sozialdemokratischen Arbeiter" und die Zeitschrift Der revolutionäre Sozialdemokrat gründete. Seine Kritik an der Sozialdemokratischen Partei eskalierte in einer Massenversammlung und er agitierte die Massen mit kommunistischen Forderungen, in denen er vor dem Aufruf zu einem gewaltsamen Bürgerkrieg nicht zurückschreckte. Es kam zu einer Schlägerei, die von der Polizei aufgelöst werden musste. Nach weiteren, ähnlich turbulent verlaufenden Veranstaltungen wurde Reich am 9.1.1930 aus der Sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen. Seit seiner Rede vor über 100 000 Menschen im Herzen Wiens am 6.3.1930 trat Reich als Mitglied der in Österreich sehr kleinen, aber radikalen KPÖ auf und galt als „Werkzeug des Stalin ZK“ (Fallend 1995, S. 300- 311, Fallend 1997, S. 28).
In seiner Schrift Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse (1929 in: Unter dem Banner des Marxismus 3, S. 736-771) versuchte Reich, Marxismus und Psychoanalyse zu einer weltanschaulichen Konzeption zu verbinden.
Mit seinen großen klassenkämpferischen Auftritten entfernte sich Reich zunehmend von der WPV. Sein schärfster Gegner war sein ehemaliger Analytiker Paul Federn. Auch Federn war Sozialdemokrat. Im Gegensatz zu Reichs klassenkämpferischer, sexologischer Intonation propagierte Federn ein Modell der Einsicht in die sozialen Ungleichheiten, denen er mit wohltätiger Nachbarschaftshilfe begegnen wollte. Zu diesem Zweck unterstützte er den Verein ‚Settlement‘. Diese beiden politischen Ansätze waren unvereinbar.
Im September 1930 stellte sich Freud anlässlich einer Diskussionsveranstaltung für ausgewählte Mitglieder der WPV offen gegen Reich, der die „Welt retten“ wolle und sich deshalb vom „mittleren Weg der Psychoanalyse“ abwende.
Am 1. Januar 1932 notierte Freud „Schritte gegen Reich“ (Fallend 1997, S. 31).
Verunglückter persönlicher Neustart in Berlin
Annie und Willy Reich trennten sich. Wilhelm Reich ging Ende September 1930 nach Berlin und begann eine Analyse bei Sándor Radó. Nach wenigen Monaten bat Radó Annie Reich, die noch in Wien lebte, zu sich. Radó teilte ihr mit, dass Wilhelm Reich ernsthaft im klinischen Sinne schizophren sei (Fallend 1995, S. 314, zitiert nach Radós Interview mit Swerdloff). Annie war erschüttert und besprach die Situation mit ihrer Analytikerin Anna Freud. Anna Freud riet ebenso wie Radó zur Scheidung.
Reich erklärte nun, dass Radó das Gerücht über seine Schizophrenie aus Eifersucht in die Welt gesetzt habe. Reich habe eine intensive erotische Beziehung zu Radós Frau Emmy gehabt. Sie hätten viel miteinander getanzt, ohne einen Liebesakt zu vollziehen (Eissler/W. Reich 1952, S. 79 ff).
Nach einem gemeinsamen Skiurlaub versöhnten sich Annie und Wilhelm Reich. Annie empfand es als einen Akt der Emanzipation von ihrer Analytikerin, bei Reich zu bleiben und nach Berlin zu gehen (Reich Rubin, 2019, S. 137). Etwas später kamen die Kinder dazu. Sie lebten vom Frühjahr 1931 bis zum Februar 1933 in der Schlangenbader Str. 87. Lore beschreibt ihren Vater als „diktatorisch und autokratisch“. Gleichzeitig konnte er „sehr liebend und gütig und wundervoll“ sein (Reich Rubin 2019, S. 31 ff).
Die Reichs trafen sich oft mit Otto Fenichel und seiner Frau Cläre. Die Fenichels besuchten die Gymnastikkurse von Elsa Gindler – ebenso wie Reichs Analysand Fritz Perls, späterer Begründer der Gestalttherapie - und Eva Reich ging in die Gindler-Schule. Indirekt nahm Wilhelm Reich wesentliche Impulse für seine spätere Körperarbeit von Gindler auf (Geuter 2010, S. 64 f). Annie und Wilhelm Reich praktizierten beide zu Hause und zu dem Zweck musste das Schlafzimmer morgens zum Behandlungszimmer umgewandelt werden. Lautstarke Auseinandersetzungen zwischen beiden entzündeten sich an unterschiedlichen Auffassungen über das Familienleben. Wilhelm brüllte, Annie weinte und die Kinder fürchteten sich und hofften auf ein Ende der Ehe. Annies Erziehungsstil, der sich an Anna Freud orientierte, und Wilhelms Forderung nach einem kommunistischen Lebenskonzept passten nicht zusammen. Er bestand darauf, die Kinder in die Kinderkommune zu schicken, die Annemarie Wolff in der Oranienburger Chaussee 53 in Berlin-Frohnau leitete (Heuss 2021, S. 80). Grundsätzlich sollten Kinder ebenso wenig an ihre Eltern gebunden sein wie Ehefrauen an ihre Männer. In dieser Zeit waren ihre Kinder völlig überfordert und sehr unglücklich.
Reichs psychoanalytisch-politische Mission
In Deutschland war die KPD die drittstärkste Fraktion und so konnte Reich sich eine größere Strahlkraft seiner Mission erhoffen. Obwohl seine Fokussierung auf die erfüllte Sexualität von der
KPD eher geduldet wurde, entwickelte er mit ihrer Unterstützung das Schulungsprogramm, des "Einheitsverbandes für proletarische Sexualreform und
Mutterschutz" (EV). In Reichs später Erinnerungen nannte er diese Anfänge bereits "Sex-Pol-Bewegung" (Peglau 2017a, S. 323f). Reich ging es um die Reform des Sexualstrafrechts und des
Eherechts sowie die Aufhebung der Gesetze gegen Abtreibung und die Verbesserung des Gesundheitsschutzes für Mütter und Kinder. Sein Vorschlag, die zersplitterten Sexualreformbewegungen unter
dem Dachverband des „Deutschen Reichsverbandes für Proletarische Sexualpolitik“ zu vereinen, scheiterte allerdings an parteipolitischem Hickhack um Führungsansprüche (14.6.1931). Reichs Buch
Massenpsychologie des Faschismus (1933) wurde von der KPD radikal abgelehnt, da er darin die unterdrückte Sexualität und nicht die ökonomischen Verhältnisse als Ursache für den Sieg
des Faschismus deutete. Willy Brandt hielt das Werk sogar für „eher schädlich als nützlich“, da er „die Entschiedenheit des proletarischen Standpunktes“ gefährdet sah (Lenz 2010, S.216, S.
224).
Gegenwind kam auch von Max Eitingon. Es ging dabei nicht nur um Reichs kommunistisches Engagement, sondern auch um seine kritische Haltung Freud gegenüber. Über Reichs Artikel Der masochistische Charakter (1932) war Freud so empört, dass er ihn nur kommentiert zur Veröffentlichung freigeben wollte und nur darauf verzichtete, weil Bernfeld eine Entgegnung schrieb (Fallend 1997, S. 34). Als Reaktion auf die Kritik an Reich mobilisierte Otto Fenichel eine marxistische Opposition innerhalb der IPV zur Unterstützung von Reich. Erich Fromm, Edith Gyömröi und Edith Jacobson aus dem „Kinderseminar“ gehörten dazu.
Wilhelm Reich vertrat zwar die prononcierteste Abweichung von der Lehrmeinung des Berliner Psychoanalytischen Instituts, war aber nicht der Einzige, den Max Eitingon dazu aufforderte, seine Auffassung als Referent in den DPG-Sitzungen und nicht in Ausbildungsveranstaltungen vorzutragen, um die Kandidaten nicht zu verwirren. Dieser Aufforderung folgte Reich mit fünf Vorträgen und präsentierte sich damit, nach Schröter (Schröter XXX, S. 97 ff, Peglau 2017, S.249), als „fruchtbarster Referent dieses Zeitraums“ zwischen 1930 und 1932/33. Reich sprach nicht nur über sein „Steckenpferd“, seine sexualpolitischen Vorstellungen, sondern auch über seine Behandlungstechnik. Außerdem warnte er mit seiner scharfsinnigen Analyse der sozialen Situation in Deutschland eindringlich vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus, mit dessen Aggressivität er bereits täglich in seinem Wohnumfeld konfrontiert war s.u. (Vortrag 28. Juni 1932: Massenpsychologische Probleme innerhalb der Wirtschaftskrise, ausführlicher in: Massenpsychologie des Faschismus, 1933).
Sein Buch Charakteranalyse (1933), das an den triebhaften Charakter (1925) anknüpfte, stellte er seine psychoanalytische Technik ausführlich vor.
Der Internationale Psychoanalytische Verlag lehnte die Publikation ab, um die Psychoanalyse nicht als kommunismusnah erscheinen zu lassen. Anna Freud sah in Reichs Verhalten eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den psychoanalytischen Institutionen und es wurde ihm der Austritt aus der IPV nahegelegt (Fallend 1997, S. 37).
Max Eitingon erteilte Reich nach Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft Hausverbot, um dessen etwaige Verhaftung in den Räumen des Berliner Psychoanalytischen Institutes zu verhindern. Er fürchtete, dass Reichs offene Opposition die Schließung des Instituts zur Folge haben könnte. Als sich Felix Boehm, der die Leitung der DPG nach Eitingons erzwungenem Ausscheiden übernahm, am 17. 04.1933 mit Freud in Wien über die Fortsetzung der psychoanalytischen Arbeit unter nationalsozialistischen Vorzeichen beriet, forderte Freud kategorisch "Befreien Sie mich von Reich" (Brecht et al. 1985, S.101).
Anna Freud schrieb an Jones: "Wir sind hier alle jederzeit bereit, uns für die Psychoanalyse zu exponieren, aber keineswegs für Reichs Ideen, die keiner von uns teilt"... "Der Ausspruch meines Vaters darüber ist: wenn die Psychoanalyse verboten wird, so soll sie als Psa. verboten werden, aber nicht als das Gemisch von Politik und Analyse, das Reich vertritt. Mein Vater kann nicht erwarten, Reich als Mitglied loszuwerden. Ihn beleidigt die Vergewaltigung der Analyse ins Politische, wo sie nicht hingehört" (Steiner 1994, S. 624, 27.04.1933, Brit.A).
Wilhelm Reich wurde in einer Vorstandssitzung im Sommer 1933 in Abwesenheit aus der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft ausgeschlossen. Das bedeutete auch, dass er die Mitgliedschaft in der IPV verlor. Er erfuhr davon erst im Vorfeld des IPV-Kongresses in Luzern, ein Jahr später.
Die „rote Tintenburg“ und Flucht aus Deutschland
Reichs zweiter Lebensmittelpunkt war, unweit der Familienwohnung/Praxis, die Künstler-Kolonie um den Barnay-Platz geworden, die „rote Tintenburg“. Künstler, Schriftsteller, Philosophen und andere Intellektuelle hatten sich zu einem linken „Widerstandsnest“ zusammengefunden. Hier wohnte er zum Teil auch bei seiner Freundin, der Tänzerin Elsa Lindenberg (Karina u. Kant 2003), am Südwestkorso 50A, die dort allem Anschein nach bei ihrer verwitweten Mutter lebte (Adressverzeichnis 1932-1936 „Ww. H. Lindenberg“). Auch sie war Schülerin von Elsa Gindler und inspirierte Reichs körpertherapeutische Arbeit (Geuter 2010, S. 66).
Reichs „Politischer Leiter“ war Alfred Kantorowicz, der eine Künstlerzelle organisiert hatte, zu der Steffie Spira, Günter Ruschin, Johannes R. Becher, Ernst Busch, Arthur Koestler und Manès Sperber gehörten (Bauer 2013). Reich beteiligte sich auch an der „Truppe 1931“, einer Theatergruppe der kommunistischen Zelle. Bereits seit 1931 mussten sich die Bewohner gegen Angriffe von SA-Schlägertrupps wehren, die ihnen auf ihrem Weg von der U-Bahn am Breitenbachplatz auflauerten, um sie zu verprügeln, und so organisierten die Bewohner schützende Begleitgruppen. Nach dem Reichstagsbrand (am 27./ 28. Februar 1933) ging die SA massiv gegen die Künstler-Kolonie vor. Am 15. März wurden viele Bewohner der Kolonie verhaftet, Wohnungen geplündert und Bücher öffentlich verbrannt (Bauer 2013).
Im Gegensatz zu seiner Einbettung in einem kommunistischen Milieu betont Reich allerdings in seinem Interview mit Kurt Eissler, dass er nie Kommunist im politischen Sinne gewesen sei. Auch sei er nie Parteimitglied gewesen, sondern nur Mitglied im Verein sozialistischer Ärzte unter Ernst Simmel (Eissler/W. Reich 1952, S. 80f). Aufgrund der Beschädigung von Archiven existiert auch kein Dokument, das Auskunft über Reichs Parteieintritt geben könnte. Andreas Peglau hat seine KPD-Mitgliedschaft aus indirekten Quellen nachgewiesen (Peglau 2017a S. 62 - 67, S. 111 - 113, S. 171). Andreas Peglau legt die Vermutung nahe, dass Wilhelm Reich in den USA seine KPD-Mitgliedschaft verschwieg - vor allem nach seiner Inhaftierung als "potenziell feindlicher Ausländer" (s.u.)(persönliche Mitteilung vom 4.3.2021).
Als Jude, Kommunist und exponierter Vertreter der Sex-Pol-Bewegung (Bewegung für Sexualökonomie und Politik) fürchtete Wilhelm Reich Verfolgung und Inhaftierung. Gesundheitlich hatte er wieder mit seiner Schuppenflechte zu kämpfen.
Die Kinder Eva (9 J.) und Lore (5 J.) wurden allein, ohne jegliche Erklärung, mit der Bahn in der Obhut eines Schaffners von Berlin zu den Großeltern nach Wien geschickt. Annie und Wilhelm flohen zu Fuß, nur mit einem Rucksack mit den notwendigsten Habseligkeiten. Wilhelms Angst erfüllte Annie mit abgrundtiefer Verachtung. Ernüchtert drehte sie um, ging zurück nach Berlin, löste die Wohnung auf und folgte ihrer Lehranalytikerin Frances Déri nach Prag. Von dort aus besuchte sie ihre Kinder in Wien. Damit war die Ehe endgültig beendet.
Wilhelm Reich versuchte vergeblich, in Wien Fuß zu fassen (Reich Rubin 2019 S. 38, S. 44).
IPV und KPD distanzieren sich von Reich
Am 1. Mai 1933 kam Wilhelm Reich zusammen mit Elsa Lindenberg in Kopenhagen an, wohin er als Lehranalytiker berufen worden war. Sein Start in Kopenhagen war denkbar schwierig.
Im Vorfeld hatte Max Eitingon, Leiter der internationalen Unterrichtskommission der IPV, Reich mitgeteilt, dass er in Kopenhagen weder ein Institut gründen noch unterrichten dürfe, da die IPV seine Ausbildung nicht anerkennen würde (Steiner 1994, S.650, 10.04.33 u. Reich an Anna Freud). Aber damit fand sich Reich nicht ab, da er als Lehranalytiker das Recht hatte, Ausbildungen durchzuführen.
Reich beriet die Situation mit dem Präsidenten der IPV, Ernest Jones, in London, der Eitingons Ablehnung Reichs nicht teilte. In einer Beratungsrunde, zusammen mit Sylvia Payne, Joan Rivière, Melanie Klein, Edward Glover und James Strachey, entstand ein differenzierteres Bild: Für Reich stand die politökonomische Grundlage des Kommunismus nicht im Vordergrund, sondern seine sozialen Implikationen. Anknüpfend an einige frühere Arbeiten Freuds suchte er gesellschaftliche Rahmenbedingungen zur optimalen Neurosenprophylaxe, und diese schienen ihm die kommunistische Sexualreform zu bieten. Damit sei die Psychoanalyse das „Kernelement des Kulturbolschewismus“ (22.04.33 Reich an Anna Freud, Steiner 1994 S. 651). Jones fand nicht, dass Reichs politische Haltung einen Ausschluss aus der IPV rechtfertigen würde. Persönlich beurteilte er ihn als „ziemlich naiv und einfältig“, aber auch „völlig aufrichtig“. Seine Probleme rührten daher, dass er unzureichend analysiert worden sei. Kritisch sah Jones Reichs Absicht, eine neue Gruppe zu gründen. Denn als offizieller Vertreter oder Lehrer der Psychoanalyse würde er ihre Positionen „auf eine irreführende Art präsentieren“, und die von ihm ausgebildeten Mitglieder oder eine von ihm organisierte Gruppe würden keine offizielle Anerkennung finden. Reich dagegen war sich einer großen Anhängerschaft in der IPV sicher und meinte, dass seine Zurückweisung eine Spaltung der IPV zur Folge haben würde (9.12. und 13.12.1933 Reich an Anna Freud, Steiner 1994, S. 648 f).
Reich forderte eine öffentliche Stellungnahme der IPV-Führung ein. Denn freiwillig auszutreten, wie Paul Federn es ihm nahegelegte hatte, lehnte er ab, da er sich als legitimer Vertreter der Psychoanalyse verstand (22.04.1933 Reich an Anna Freud, Steiner 1994, S. 651).
Wilhelm Reich war auch in der KPD isoliert und suchte in Leo Trotzki im Oktober 1933 einen Bündnispartner. Trotzki hatte sich intensiv mit Psychoanalyse beschäftigt und äußerte 1932 die Hoffnung, dass Psychoanalyse nach der politischen Revolution mit ihren immensen Umwälzungen die Vernunft und den Willen gegen die menschlichen Triebkräfte stärken könne (Der Funke 2005, siehe auch Peglau 2017, S.311 ff). Ihr Briefwechsel war nur kurz und über ein persönliches Gespräch mit Reich ist nichts bekannt. Dass Reich bereits im Sommer 1933 aus der KPD ausgeschlossen worden war, erfuhr er erst am 21.11.1933 aus der dänischen KP-Zeitung Arbrjderbladet. Ihm war vorgeworfen worden, "ohne die Genehmigung der Partei auch nur zu beantragen, ein psychoanalytisches Buch (Anmkg. R.L. Massenpsychologie)
(durchaus antimarxistisch)" veröffentlicht zu haben (Peglau, 2017, S. 328 f).
Sein Artikel Wohin führt Nackterziehung (Zeitschrift f. pädagogische Psychoanalyse 1929, S. 44-50) war in Dänemark im Nachdruck in einer kommunistischen Zeitung erschienen und der Herausgeber wurde wegen des Vorwurfs der Pornografie mehrere Wochen inhaftiert (Fallend 1997, S. 38, Mühlleitner & Reichmayr 1998, S. 67). Massenproteste richteten sich nun gegen Reich und er musste am 1. Dezember 1933 Kopenhagen verlassen. Freud und andere prominente Persönlichkeiten wurden ersucht, dagegen zu protestieren. Freud verweigerte sich.
Reich ging nach Malmö, eine Schiffsstunde von Kopenhagen entfernt, damit seine Lehranalysanden und Schüler ihre Ausbildung bei ihm fortsetzen konnten (Fallend 1997, S.38, Steiner 1994 S. 648).
Die linke Fraktion
Trotz allem hoffte Reich, mit seinen linksfreudianischen Freunden Otto Fenichel, Georg Gerö, Nic Hoel, Edith Jacobsohn und einigen skandinavischen Analytikern der psychoanalytischen Bewegung eine neue linke Richtung geben zu können.
Vom 26.8. bis 31.8.1934 stand der Internationale Psychoanalytische Kongress in Luzern bevor und die Gruppe traf sich vorher mehrfach in Oslo, um ihr Vorgehen zu beraten.
Zusammen mit der linken Opposition, als deren Führer sich Reich verstand, wollte er nun kompromisslos und konsequent ein wissenschaftliches Forum schaffen, um von der Position der dialektisch-marxistischen Kritik aus die psychoanalytische Vereinigung dazu zu zwingen, sich mit ihren soziologischen Konsequenzen auseinanderzusetzen. Reich schwebte ein neues Fachgebiet, eine ‚Sexualökonomie und politische Psychologie‘ vor. Selbst Freud wollte er von seiner Kritik nicht ausnehmen. Fenichel, der Reich nicht einfach die Führung überließ, kritisierte ihn als zu radikal. Er wollte die politische Diskussion als immanente Psychoanalysekritik innerhalb der IPV in einer „Einheitsfront von Reich bis Eitingon“ führen. Nach heftigen Auseinandersetzungen einigte sich die Gruppe auf einen gemäßigten Resolutionsentwurf, der u.a. die Entwicklung in der DPG und IPV betraf. Bei mindestens 15 Unterschriften sollte sie dem IPV-Vorstand übergeben werden. Die Resolution fand nur einen einzigen Unterstützer. Der Plan war gescheitert.
Die Freundschaft zwischen Reich und Fenichel war beendet und die Gruppenmitglieder stellten sich auf Fenichels Seite. Fenichel beurteilte Reich als kompromisslosen, uneinsichtigen Querulanten und Reich sah in Fenichel einen Verräter (nach Fallend 1997, S. 43 -51).
Von vielen Kongressteilnehmern wurde es als Provokation empfunden, dass Wilhelm Reich mit seiner Freundin Elsa und seinen Töchtern im „Inseli Park“ am See zeltete, unmittelbar neben dem Kongresszentrum. Sie empfanden es so, als zelebriere Reich seine nonkonformistischen Ideale auf diese Weise.
In Luzern sprach Reich als Gast zu dem Thema: Psychischer Kontakt und vegetative Strömung; ein Beitrag zur Affektlehre und charakteranalytischen Technik. Die Möglichkeit ihn in Luzern wieder in die IPV aufzunehmen, wurde nicht erwogen. Anna Freud begründete den Ausschluss: Reich behaupte, die Psychoanalyse zu einem „eigenen Wissenschaftssystem konsequent weiterentwickelt zu haben“, das er ,Sexualökonomie´ nenne. Die Konsequenz aus dieser Sexualökonomie liege in der Notwendigkeit zum politischen Handeln. Sexualökonomie und politisches Handeln werden damit zu einer untrennbaren Einheit und das Publikum könne nicht zwischen Reichs persönlicher Position und der der IPV unterscheiden. Damit mache Reich die IPV auch für seine politischen Aktionen verantwortlich. Diese Verantwortung wolle sie nicht tragen. Sein Ausschluss sei also „weder seinen von Freud abweichenden Ansichten zuzuschreiben ..., noch seinen politischen Ansichten" (Mühlleitner & Reichmayr 1998 S. 135).
In der ‚Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie‘ schuf sich Reich sein eigenes kritisches Forum. Die Zeitschrift musste nach 5 Jahrgängen 1939 ihr Erscheinen einstellen (Fallend 1995, S. 317 und Fallend 1997, S. 46).
Oslo – eine konflikthafte, aber produktive Zeit
Am 14. September 1934 hatte sich in Oslo die Norsk-Dansk Psykoanalytisk Forening (NDPF) als Zweigvereinigung der IPV unter dem Vorsitz von Harald Schjelderup konstituiert. Schjelderup war zu dieser Zeit Ordinarius und Leiter des Psychologischen Instituts Oslo und Mitglied der Schweizer Psychoanalytischen Vereinigung. An seiner Seite standen Otto Fenichel und Johannes Landmark als weitere Vorstandsmitglieder. Da Reich nicht in Schweden bleiben durfte, folgte er im Oktober 1934 der Einladung von Harald Schjelderup. Die NDPF war gespalten. Obwohl einige Mitglieder Reichs Aufnahme in die Gruppe, die eine Rückkehr in die IPV möglich gemacht hätte, unterstützten, fiel am 15. Dezember 1934 die Entscheidung - von Fenichel maßgeblich beeinflusst - gegen seine Aufnahme. Die Spannungen mit Fenichel eskalierten und Fenichel warf Reich zusätzlich vor, ihm Patienten und Ausbildungskandidaten abzuwerben. Otto Fenichel verließ Oslo im Sommer 1935 und entschloss sich nach Prag zu gehen (Fallend 1997, S. 54-56).
Wilhelm Reich blieb mit der NDPF verbunden und wirkte als Dozent. Zwar sammelte er nun eine eigene Gruppe um sich und nannte sich nicht mehr Psychoanalytiker, hatte aber Odd Wage Havrevold, Ola Raknes, Sigurt Hoel und Harald Schjelderup weiterhin in Analyse (Mühlleitner & Reichmayr 1998, S. 30 und S. 509).
Im Februar 1936 gründete Reich das ‚Institut für Sexualökonomische Lebensforschung‘. In dem Institut war der Sex-Pol-Verlag untergebracht, ein Versuchslaboratorium zu biophysikalischer Forschung, das mit den modernsten Geräten ausgestattet war, und es fanden Lehr- und Ausbildungskurse statt. Reich hielt auch Vorträge zur Schulung des Klassenbewusstseins, die auf große Resonanz stießen (Lenz 2010, S. 147). Reichs Mitarbeiter waren hauptsächlich Geflüchtete aus Deutschland. Dem nationalsozialistischen Regime entkommen, reagierten sie besonders empfindlich auf Reichs bestimmende Art, die sie als diktatorisch empfanden (Ollendorff 1975, S. 59).
Auf der Basis seiner früheren Arbeiten zur Ich-Pathologie, zur Technik der systematischen Widerstandsanalyse (Charakteranalyse) und zur Sexualökonomie setzte Reich die in Berlin begonnene körperbezogene therapeutische Arbeit fort: der „Charakterpanzer“ sei als „Muskelpanzer“ tief in einen körperlichen Widerstand eingeschrieben und nicht allein mit psychischen Mitteln zu behandeln. Den Fluss der Emotionen versuchte er mit einer bestimmten Atemtechnik, körperlichen Berührungen und Massagen zu lösen – ein Verfahren, das er Vegetotherapie nannte. Ulf Geuter merkt allerdings kritisch an, dass Reich in seinem Bemühen, die Psychoanalyse auf eine energetisch-biologische Grundlage zu stellen, die emotionale Seite vernachlässige (Geuter 1997, S. 195 f). Als leidenschaftlicher Forscher suchte Reich nach vermittelnden Organismen zwischen Leblosem und Lebendigem und meinte sie in „Bionen“, die auf pathogene Zustände (wie Krebserkrankungen) einwirken könnten, gefunden zu haben. Mit Hilfe von Mäuseexperimenten versuchte er seine These zu untermauern.
Wegbegleiter und Freunde zwischen Oslo und New York
Das Institut weckte internationales Interesse. Theodore P. Wolfe etwa, ein junger amerikanischer Psychiater mit besonderem Interesse an Psychosomatik, war von Reich fasziniert und begab sich zu ihm in Analyse. Der Reformpädagoge Alexander S. Neill, der Ende der 20er Jahre in England die Schule Summerhill gegründet hatte, lernte Wilhelm Reich 1937 auf einer Vortragsreise kennen. Zwischen beiden entstand eine tiefe Freundschaft und Neill verbrachte zwei Jahre lang seine Ferien bei Reich, um mit ihm zu arbeiten. Bereits nach sechs Wochen fühlte er sich emotional gelöster als nach mehreren Jahren einer Analyse. Als seinen größten Gewinn erlebte er allerdings „die Freundschaft eines warmherzigen, aufrichtigen, brillanten Mannes“ – auch wenn er Reichs Orgon-Forschung nie verstanden habe (Neill in Ollendorff 1975, S. 7).
Gertrud Meyer Gaasland, eine führende Funktionärin der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die auch für Otto Fenichel gearbeitet hatte, war seit 1934 (bis 1941) Reichs Mitarbeiterin, Laborassistentin, persönliche Sekretärin und seit 1936 Leiterin der Internationalen Sexualpolitischen Organisation. Sie unterstützte ihn mit großem Engagement und voller Loyalität und war die einzige Mitarbeiterin, die er mit dem vertrauten „Du“ ansprach. Sie schätzte Reichs scharfsinnige Zeitanalysen der innenpolitischen Entwicklungen in der Sowjetunion und des Faschismus. Allerdings kritisierte sie Reichs „Überspitzung“ in der Art seiner Vermittlung. Er mache sich vor allem dadurch Feinde (Lenz 2010, S. 211). Gertrud Meyer war Genossin und Geliebte des damals Anfang 20 - jährigen Willy Brandt, dem späteren Berliner Bürgermeister und deutschen Bundeskanzler. Mit dem norwegischen Studenten Gunnar Gaasland war sie eine Pass-Ehe eingegangen, um die norwegische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Gertrud Meyer und Reich nutzten wechselseitig ihre Kontakte im linkssozialistischen und psychoanalytischen Netzwerk. Sie unterstützte mit ihrem Einkommen maßgeblich Willy Brandt und die SAP-Arbeit (Lenz 2010, S. 14). Auch Willy Brandt schätzte Reich „als eine herausragende Persönlichkeit“ mit großer schöpferischer Begabung und als ungewöhnlich anregenden und belesenen Gesprächspartner. Politisch hatte er Vorbehalte gegen ihn und die marxistischen Psychoanalytiker, deren Analyse zu sehr auf die Mittelschicht ausgerichtet sei (Lenz 2010, S. 224). Reich nahm den jungen Brandt, zu dessen 25. Geburtstag ihn Gertrud Meyer eingeladen hatte, nicht ernst. Für ihn war „Willi ein Kind, das seine Pfeife mit Würde raucht“ (Lenz 2010, S. 227). Sie diskutierten leidenschaftlich die „Russische Frage“. Seit die fortschrittliche Sexual- und Familiengesetzgebung der ersten Revolutionsjahre in der Sowjetunion rückgängig gemacht worden war, wandte Reich sich enttäuscht von dem sowjetrussischen Kommunismus ab und entwickelte sein Konzept der „natürlichen Arbeitsdemokratie“, die eine soziologische, keine polit-ökonomische Selbstregulierung der Staatsmacht vorsah: „Arbeitsdemokratie ist der naturwüchsige Prozess der Liebe, Arbeit und des Wissens, der die Wirtschaft, das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Menschen regierte, regiert und regieren wird, solange es eine Gesellschaft gab, gibt und geben wird. Arbeitsdemokratie ist die Summe aller natürlich gewachsenen, sich natürlich entwickelnden und organisch die rationalen zwischenmenschlichen Beziehungen regierenden Lebensfunktionen. Die Arbeitsdemokratie ist kein ideologisches System“ (1986, S. 276f.).
Damit distanzierte er sich von dem linkssozialistischen Milieu der SAP und forderte von Gertrud Meyer uneingeschränkte Gefolgschaft (Lenz 2010, S. 228).
Unfreiwilliger Abschied
Die Publikation von Reichs Bionen-Experimenten im Herbst 1937, in der er sich als Krebstherapeut vorstellte, führte zu einer heftigen Reaktion in der Tagespresse. Es folgten diffamierende Angriffe der Psychiatrischen Gesellschaft auf Reichs charakteranalytische Vegetotherapie. In einer Hetzkampagne wurde Reich als „Quacksalber“ und als „jüdischer Pornograph“ beschimpft (Ollendorff 1975, S. 69). Er wurde sogar gezwungen, die Belege für seinen Doktortitel vorzulegen (Lenz 2010, S. 230 f).
Nach außen verteidigte Reich sich nicht. Seine Kränkung, Wut und Enttäuschung richteten sich in jähzornigen Ausbrüchen gegen Elsa Lindenberg und seine nächsten Mitarbeiter. Reichs Aufenthaltsgenehmigung in Norwegen wurde zunächst nur unter scharfen Restriktionen verlängert, sodass er sich gezwungen sah, in den USA um Asyl zu bitten.
Theodore Wolfe und einem kleinen Freundeskreis gelang es, eine offizielle Einladung der New School for Social Research zu erwirken. Sie garantierten mit einigen tausend Dollar Reichs Gehalt. Gertrud Meyer hatte sich bereit erklärt, für ein Jahr nach New York zu gehen, um Reichs Institut aufzubauen und seinen Neuanfang zu unterstützen. Anschließend wollte sie nach Norwegen zu Willy Brandt zurückkehren. Am 20. Mai 1939 fuhr sie allein nach New York. Reich konnte ihr erst drei Monate später folgen, da er sich weigerte, mit einem deutschen Pass auszureisen, auf dem „Jude“ gestempelt war. Als Sigmund Freud Österreich verließ, war auch ihm das nur mit so einem „deutschen“, mit einem „J“ gebrandmarkten Pass möglich. Der beantragte norwegische Fremdenpass wurde Reich verweigert und er verließ Oslo lediglich mit einem Identifikationspapier. Elsa Lindenberg blieb zurück (Lenz 2010, S. 233 f). Gertrud Meyer und Wilhelm Reich ließen also ihre Partner zurück, waren aber kein Liebespaar.
Bei seinem Weggang waren die meisten seiner Mitarbeiter erleichtert. Einige von Ihnen unterstützen ihn finanziell mit einem Darlehen. Reich weigerte sich später, es zurückzuzahlen – unabhängig davon, wie ihre Situation sich unter den Bedingungen von Krieg und Verfolgung entwickelt hatte. Er steckte all sein Geld in seine Forschungen (Ollendorff 1975, S. 70-73).
New York. Von Bionen zur Orgon-Energie
Im Oktober 1939 macht Gertrud Meyer Reich mit ihrer SAP-Genossin Ilse Ollendorff bekannt. Weihnachten zog sie bei ihm ein und begann seit Januar, Aufgaben von Gertrud Meyer zu übernehmen. In einem heftigen Konflikt mit Reich, in dem es um die Arbeitsdemokratie ging, trennte sich Gertrud Meyer von ihm (Feb./März 1941). Ilse Ollendorff war schwanger – aber sie verlor das erste Kind. 1944 kam Peter, Wilhelm Reichs und Ilse Ollendorffs Sohn, zur Welt.
Reich unterrichtete (bis 1941) als Dozent für medizinische Psychologie an der New School. Therapeutisch durfte er nicht arbeiten, da er keinen in den USA anerkannten medizinischen Abschluss hatte. Er galt ebenso wie andere geflüchtete Ärzte aus Europa als „Laie“.
Reich setzte seine Forschung zur Krebsentstehung und zu Bionen fort und meinte, in der Sapa-Bionen-Kultur (statt Erde wurde Meeressand bei der Herstellung von Bionen erhitzt) eine biologische Energie gefunden zu haben, die er Orgon nannte. Orgon sollte in einer kleinen Kabine mit einem Orgon-Energie-Akkumulator den „natürlichen bioenergetischen Widerstand" des Organismus steigern und damit die Selbstheilungskräfte unterstützen (Lenz 2010, S. 236 f., Ollendorff 1975, S. 95). Seit Mai 1941 versuchte Reich Krebskranken, die als unheilbar galten, mit seinem neuen Verfahren zu helfen.
Theoretisch bewegten sich Reichs Untersuchungen im Bereich der Biophysik und er suchte den Austausch mit Albert Einstein als Physiker (am 13. Januar 1941). Nach einem ausführlichen, lebendigen und erfolgversprechenden Gespräch und der Prüfung von Reichs Theorien an einem Orgon-Akkumulator bestätigte Einstein Reichs Beobachtungen der Temperaturdifferenz innerhalb und außerhalb des Akkumulators, interpretierte sie aber anders. Einstein zog sich zurück und Reich war tief enttäuscht (Ollendorff 1975, S. 84 ff).
Nach der amerikanischen Kriegserklärung am 11. Dezember 1941 an Deutschland wurde Reich als „feindlicher Ausländer“ mitten in der Nacht verhaftet und nach Ellis Island gebracht. Er war außer sich und reagierte mit einem heftigen Schub seiner Schuppenflechte. Am 5. Januar 1942 wurde er als Österreicher und damit „freundlicher Ausländer“ entlassen, obwohl ihn Hitlers Mein Kampf und Trotzkis Mein Leben in seiner Bibliothek verdächtig machten. In stundenlangen Verhören konnte er den Richter davon überzeugen, dass die Lektüre dem Studium der Massenmanipulation diene, die er als Psychiater kennen müsse (Ollendorff 1975, S. 90 ff).
Reich gründete das „Bion and Cancer Research Laboratory“, später „Orgon“ und „Cancer Research Laboratories“ und das „Orgone Institute Research Laboratories Inc.“. Als Fortsetzung des Sexpol-Verlags entstand mit Theodore Wolfes Hilfe der Verlag „Orgone Institute Press“.
1943 baute Reich in Maine in malerischer Landschaft auf einem mehr als 113, 000 Hektar großen Gelände Orgonon, das Zentrum seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit. In seinen Visionen entwarf er Versuchslaboratorien, Krankenhäuser, Behandlungszentren, eine große Bibliothek, ein Kinderheim, eine eigene Universität… kurz, eine kleine eigene Forschungsstadt. (Ollendorff 1975, S. 99/129) Theoretisch sah er in seiner orgonometrischen Gleichung und deren praktischer Anwendung den Schlüssel zu einer politischen Macht (Ollendorff 1975, S. 100) und einer Gesellschaft, die sich nach arbeitsdemokratischen Prinzipien regulieren sollte – ohne Hierarchien. Reich investierte den Großteil seines Geldes in die Finanzierung dieses neuen Standortes und in Arbeitsgeräte und wurde durch Spenden unterstützt. Er war von Amerika begeistert. Am 28. Mai 1946 wurde er nach einem ausführlichen Interview zum amerikanischen Staatsbürger.
Nicht zuletzt durch die Publikationen seines Verlags Orgone Institut Press wuchs das öffentliche Interesse an Reichs Arbeit. 1942 erschien der erste Band: Entdeckung des Orgons: Die Funktion des Orgasmus, 1945 die englische Übersetzung von Massenpsychologie mit einigen Ergänzungen, 1947 und 1948 Annals of the Orgone Institute und 1948 der zweite Band: Entdeckung des Orgons: Die Krebsbiopathie. Psychiater kamen zu Sommerkursen und zur Ausbildung zu Orgon-Therapeuten. Nach dem Krieg lebten auch wieder die alten Beziehungen zu skandinavischen Freunden wie Ola Raknes auf und auch Walter Hoppe aus Israel kam ab 1948 mehrfach zu Studienaufenthalten. Die Akkumulatoren wurden nun auch zum Verkauf produziert. Sie waren beliebt bei Leitfiguren der amerikanischen Gegenkultur wie Norman Mailer, J.D. Salinger, Saul Bellow, Paul Goodman, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Dwight Macdonald und William S. Burroughs, die in Reichs Theorie der Unterdrückung der Sexualität als Ursache politischer Fehlentwicklungen eine schlüssige Erklärung für den Zusammenbruch der politischen Kultur in Russland und im nationalsozialistischen Deutschland sahen. In bestimmten Kreisen wurde Reich unfreiwillig zum „Guru“ und hatte den Ruf, der Anführer einer sexuellen Revolution zu sein, zu der Alfred Charles Kinsey (1948 und 1953) die empirischen Daten geliefert hatte (Turner, 2011).
Aber es gab auch eine sensationslüsterne, boshafte Öffentlichkeit, die Reich zum Anführer eines neuen Kults von Sex und Anarchie stilisierte, der einen liederlichen Lebensstil proklamiere. Die Journalistin Mildred Edie Brady verbreitete, dass Orgon-Akkumulatoren potenzfördernd seien. Dabei waren die Angriffe auf Reich eigentlich auf die Psychoanalyse gemünzt, die Brady als eine Art der Astrologie darstellte.(The New Cult of Sex and Anarchy, April 1947, Harpers Magazine) (The Strange Case of Wilhelm Reich. In New Republic, 26.Mai, 1947). Die Food and Drug Administration (FDA) wurde durch die Artikel auf Reich aufmerksam und begann Material gegen ihn zu sammeln, um ihm „unsaubere sexuelle Geschäfte“ nachzuweisen (Ollendorff 1975, S. 116 f).
Reich versuchte nicht, die Angriffe zu widerlegen. Er verstand sie als Ausdruck der „emotionalen Pest“, ein neurotisches Symptom, dem man nur durch weiteres unbeirrtes Forschen begegnen könne, und es begann im Sommer 1948 ein umfangreicher Ausbau von Orgonon. Ein Orgon-Energie-Observatorium wurde gebaut, Reich begann mit Geigerzählern und Vakuumröhren zu experimentieren zur weiteren Erforschung der Orgon-Energie und konstruierte einen Orgon-Energie-Motor (Ollendorff 1975, S. 118 f). Die erste internationale Orgonomische Konferenz fand statt.
Aber es blieb nicht bei Angriffen aus der Boulevardpresse. Ende 1948 ging die American Psychiatric Association massiv gegen Reich und seine Schüler vor, die oft als Ärzte psychiatrische Orgon-Therapie praktizierten (Ollendorff 1975, S. 124). Daraufhin schlossen sich 23 Orgon-Therapeuten zur American Association for Medical Orgonomy zusammen. Ende 1949 wurde die „Wilhelm Reich Foundation (für Forschung und Erziehung)“ als gemeinnützige Dachgesellschaft gegründet, in der alle Zweige der Orgonomie - Reichs theoretische und experimentelle Arbeit auf Orgonon, die Orgonomische Forschungsklinik in Forest Hills, eine Orgonomische Kinderklinik in New York, die Veröffentlichungen der Orgone Institute Press und das Orgonomische Säuglingsforschungszentrum in Forest Hill – gebündelt wurden (Ollendorff 1975, S. 131). Bisher hatte Reich sowohl in Forest Hills, Queens, New York als auch in Maine gearbeitet. Im Frühjahr 1950 siedelte er mit seiner Familie ganz nach Rangeley/Maine bzw. auf sein Anwesen Orgonon über.
Persönlich lebte Reich äußerst bescheiden. Allerdings rauchte er viel (mindestens zwei Packungen pro Tag). Tachykardie-Anfälle und Hustenkrämpfe, die sogar oft zu kurzer Bewusstlosigkeit führten, waren die Folge (Ollendorff 1975, S. 101).
Mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 beendeten die Amerikaner den Zweiten Weltkrieg. Reich war tief erschüttert über die vernichtende Wirkung der Bomben. Mit seinen Oranur-Experimenten verband er die Hoffnung, durch Orgon-Energie die Strahlenkrankheit zu heilen, die Wirkung der Atombombe zu neutralisieren und die Menschheit gegen nukleare Strahlung zu immunisieren (Ollendorff 1975, S. 135).
Mit Billigung der Atomic Energy Commission, die er laufend über seine Arbeiten informierte und die ihm Radiumisotope für seine neuen Experimente zur Verfügung stellte, startete er am 15. Dezember 1950 eine Neutralisierungsversuchsreihe an Mäusen (Ollendorff 1975, S. 138 f, S. 140). Das Gegenteil der erhofften Wirkung trat ein. Die Atomenergie potenzierte sich, so, dass eine große Zahl der Versuchsmäuse starb. Reich war enttäuscht und wütend. Mitte Oktober 1951 erlitt er einen schweren Herzanfall (nach Ollendorff: sein „gebrochenes Herz“). Orgonon musste im März 1952 wegen radioaktiver Strahlung evakuiert werden. Viele Mitarbeiter litten an der Strahlenkrankheit. Dazu gehörte auch Reichs Tochter Eva, die 1949 ihr Medizinstudium abgeschlossen hatte und Reich als Forschungsassistentin unterstützte. Sie reagierte mit zweistündiger Bewusstlosigkeit, Gleichgewichtsstörung, Atemnot, Herzschwäche und entsprechenden Nachwirkungen über etwa zwei Monate hinweg (Priese, 1999) und verließ Orgonon. Auch Ilse Ollendorff erkrankte schwer. Reich war außer sich. In seinen Ausbrüchen beschuldigte er, „völlig irrational“, seine Frau des Ehebruchs mit seinem loyalsten Freund, Theodore Wolfe, und reagierte unverhältnismäßig bei kleinen Vergehen seines Sohnes. Er forderte von ihr schriftliche „Geständnisse“ über ihre Gefühle von Furcht und Hass, die sich auf ihn bezogen. Gegen diese stalinistischen Methoden hatte er immer gekämpft. Ilse Ollendorff zog sich zurück. Theodore Wolfe begann zu trinken. Auch er zog sich zurück. Er starb am 29.7.1954. Reich war tief erschüttert. Viele seiner Mitarbeiter verließen ihn. Seine Selbsttherapie bestand darin, riesige Ölbilder zu malen und Orgel zu spielen (Ollendorff 1975, S. 141-145).
Reich ging nun davon aus, dass es auch eine „deadly orgone energy“ (DOR) gebe, und begann im Juli 1953 „Wolkenbrecher“ (Cloudbuster) zu konstruieren, die kosmische und meteorologische Phänomene beeinflussen sollten. Diese „Wolkenbrecher“ sollten die DOR-Energie aus Wolken herausziehen und in fließendem Wasser neutralisieren. Das Prinzip entspreche dem eines Blitzableiters – nur, dass es sich nicht um Elektrizität, sondern um Orgon-Energie handele. Wolkenbrecher sollten auch der Luftreinigung dienen. Mit diesem in den Himmel gerichteten Rohrsystem wollte er die Erde auch gegen außerplanetarische Eindringlinge verteidigen.
Anfang 1953 legte Ilse Ollendorff ihr Amt in der Verwaltung der Wilhelm-Reich-Stiftung nieder, weil sie die Beschlüsse der Stiftung in Bezug auf die Versuche nicht mehr verstehen konnte (Ollendorff 1975, S. 147 – 152, S. 162). Im August 1954 trennte sie sich endgültig von Wilhelm Reich, nicht ohne vorher ihre Aufgaben abgeschlossen bzw. übergeben zu haben.
In einer Wüstengegend in der Nähe von Tucson (Arizona) versuchte Reich im Oktober 1954 mithilfe von Wolkenbrechern Regen zu erzeugen. Tatsächlich zeigten sich Veränderungen in Bezug auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind und verschiedene Formen von Niederschlag, die signifikant von den meteorologischen Erwartungen abwichen, und es erscheint möglich, dass es Reich tatsächlich gelungen war, das Wetter zu beeinflussen (Huthsteiner, 2014). Aber als „Regenmacher“ wollte er nicht in die Geschichte eingehen, sondern als „Entdecker der kosmischen Orgon-Energie, der Lebensenergie“ (an Neill nach Ollendorff 1975, S. 157).
Inzwischen war er weitgehend isoliert und begann zu trinken – oft bis zur Bewusstlosigkeit (Ollendorff 1975, S. 158).
Im Februar 1954 wurde Reich angeklagt, gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen zu haben. Die Begründung der Anklage war in vielen Punkten fehlerhaft und zielte auf eine Vorverurteilung Reichs ab. Reich musste einen großen Teil seiner Laboratoriumseinrichtung verkaufen, um seinen Prozess finanzieren zu können. Als Staatsanwalt agierte ein Jurist, der wenige Jahre zuvor Reichs Anwalt gewesen war und die Wilhelm-Reich-Stiftung juristisch begleitet hatte. Nun war er zu seinem erbitterten Gegner geworden (Ollendorff 1975, S. 162). Die FDA forderte die Vernichtung aller Orgon-Energie-Akkumulatoren und Gerätschaften, die in Zusammenhang mit Orgon-Energie standen. Auch Reichs gesamten Veröffentlichungen, in denen sich Hinweise auf Orgon befanden, gehörten dazu. Die American Psychoanalytic Association zeigte sich mit dem „effektiven Vorgehen“ der Food and Drug Administration sehr zufrieden (Peglau 2017, S. 51).
Michael Silvert, ein New Yorker Orgon-Therapeut, verkaufte trotz des Verbots weiter Orgon-Energie-Akkumulatoren. Der darauf folgenden Anklage begegnete Reich mit der Forderung, einen ‚Ausschuss für Soziale Pathologie‘ zu berufen, der besser als das Gericht dazu in der Lage sei, die gerichtliche Verfügung zu prüfen. Damit war das Gericht nicht einverstanden. Reich stellt den Antrag, sich selbst, die Reich-Stiftung und das ‚Büro zur Verhütung der emotionalen Pest‘ verteidigen zu dürfen. Er ließ allerdings durchblicken, dass es ihm nicht möglich sei, sich mit allen Mitteln zu verteidigen, da er keine Staatsgeheimnisse preisgeben dürfe. Das Gericht lehnte ab.
Reich erschien nicht zu dem Prozess, weil er sich gegen gerichtliche Verfahren wehrte, deren Vertreter wissenschaftlich nicht qualifiziert seien, seine Forschungen zu verstehen. Außerdem seien die Behörden kommunistisch infiltriert und folgten Befehlen des „roten Faschismus", der sich als Verschwörung gegen die Orgonomie organisiert habe (Ollendorff 1975, S. 162). In dieser Situation habe Reich weitgehend den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren. Er sei davon überzeugt gewesen, dass er unter dem Schutz der Luftwaffe und des Präsidenten der USA geheim im Kampf gegen Angriffe aus dem Weltraum arbeite. Nur mit Orgonomie sei die Erde zu verteidigen (Ollendorff 1975, S. 168 f).
Grethe Hoff, eine ehemalige Studentin Reichs aus Norwegen, war Reichs neue Partnerin. Mit ihr und ihrem kleinen Kind kehrte er im April 1955 nach Orgonon zurück. Auch sie ertrug Reichs Wechsel zwischen extremer Eifersucht, zärtlicher Zugewandtheit, paranoiden Vorstellungen und völliger Klarheit nicht. Sein exzessiver Alkoholkonsum und der willkürliche Gebrauch seines Gewehrs beängstigten sie so sehr, dass sie ihn Ende Juni 1955 verließ.
Reich vereinsamte, trank und litt an Tachykardien. Er hielt sich an der illusionären Überzeugung fest, dass er unter dem Schutz der Luftwaffe stehe, und rechnete mit dem Besuch höherer Offiziere. Um sie gebührend empfangen zu können, kaufte er schöne Teppiche, Möbel und Hausrat.
Bereits im Spätsommer 1955 war die junge Biologin Aurora Karrer Reichs neue Partnerin.
Die juristische Lawine von Vorladungen, Verhören, Einsprüchen, Berufungen setzte sich bis zu dem Prozess, der vier Tage einnahm, vom 3. bis 7. Mai 1956 fort. Alle Bemühungen, ihm eine milde Wendung zu geben, scheiterten. Orgon-Akkumulatoren, Wolkenbrecher und alle übrigen Gerätschaften wurden vernichtet. Am 23. August 1956 brannten in New York knapp 6 Tonnen von Reichs Schriften und der seiner Mitarbeiter im Wert von rund 15.000 Dollar. Unter den Büchern war auch Massenpsychologie des Faschismus – das Buch, das die Nationalsozialisten 1933 auf dem Berliner Opernplatz verbrannt hatten (Peglau, 2017, S. 51). Die American Civil Liberties Union protestierte gegen die Bücherverbrennung. Da Reich der Organisation nicht traute, lehnte er ihre Hilfsangebote ab.
Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt, die er am 12. März 1957 antrat.
Am 3. November 1957 starb Wilhelm Reich an einem Herzinfarkt im Lewisburg Federal Penitentiary, acht Monate nach seiner Verurteilung und nur wenige Tage vor seiner Anhörung zum Zweck seiner Entlassung auf Bewährung.
„Wenn seine [Reichs] Behauptungen über den Orgon-Akkumulator nicht mehr als lächerliche Quacksalberei waren, wie die FDA-Ärzte behaupteten, und wenn er nur ein paranoider Schizophrener war, wie ein Gerichtspsychiater schlussfolgerte, warum betrachtete die US-Regierung ihn dann als eine solche Gefahr? Die FDA gab geschätzte 2 Millionen Dollar für die Untersuchung und Verfolgung von Reich aus. In ‚The Chemical Feast‘, dem Bericht des Verbraucherschützers Ralph Nader aus dem Jahr 1970 über die FDA, wurde die Behörde dafür kritisiert, dass sie einen unangemessenen Teil ihrer begrenzten Ressourcen für, „große Quacksalber-Kampagnen" ausgab, wie die „bösartige" Verfolgung von Reich, die mit „erschreckender Strenge" durchgeführt wurde. Was war das für ein Amerika im Kalten Krieg, das Reich zu einem Sinnbild von übergroßer Angst machte? (Turner 2011, eigene Übersetzung).
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Chronik
24.3.1897 Wilhelm Reich wird in Dobrzanica (Galizien) als erster Sohn jüdischer Eltern geboren und wächst in Jurinetz (Bukowina) auf. Sein Bruder Robert ist drei Jahre jünger.
1910 Cecilie Reich, geb. Roniger, Reichs Mutter, nimmt sich das Leben.
1914 Leon Reich, sein Vater, stirbt an TBC. Wilhelm verwaltet das Landgut der Familie, bis es im I. Weltkrieg zerstört wird.
1915 Nach dem Abitur Einberufung zum Militärdienst. Einsatz an der Isonzofront
1918 Medizinstudium in Wien.
1919 Mitarbeit an dem von Otto Fenichel initiierten „Wiener Seminar für Sexuologie“.
1920 Aufnahme in die Wiener Psychoanalytischen Vereinigung nach seinem Vortrag Libidokonflikte und Wahngebilde in Ibsens ,Peer Gynt'.
1922 Medizinische Promotion. Analyse bei Isidor Sadger, dann bei Paul Federn. Ärztliche Tätigkeit an der Psychiatrischen Klinik Wagner-Jaureggs unter Paul Schilder und Sekundararzt am neugegründeten Ambulatorium der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Eheschließung mit seiner ehemaligen Analysandin Annie Pink. Aus der Ehe gehen die Töchter Eva (1924) und Lore (1928) hervor.
1924 Wilhelm Reich leitet das Technisch-Kasuistische Seminar und entwickelt seine Methode der Charakteranalyse.1926 Robert Reich, sein jüngerer Bruder, stirbt an TBC.
1927 Erkrankung an TBC und erfolgreicher Heilaufenthalt in Davos.
1928 Gründung der „Sozialistischen Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung“, zusammen mit Marie Frischauf-Pappenheim. In der von Reich geleiteten „Sexualberatungsklinik für Arbeiter und Angestellte“ bieten u.a. Richard Sterba und Annie Angel kostenlose Beratung an.
1929 Reise in die Sowjetunion. Zusammen mit sozialdemokratischen Arbeitern initiiert Reich das „Komitee revolutionärer sozialdemokratischer Arbeiter".
1930 Wilhelm Reich zieht von Wien nach Berlin. Seine Familie folgt ihm ein Jahr später.
1931 Gründung des „Einheitsverbands für proletarische Sexualreform und Mutterschutz“ (Sexpol), mit Unterstützung der KPD. Lehranalyse bei Sándor Radó am Berliner Psychoanalytischen Institut. Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft.
Aufbau einer Sexualberatungsstelle zusammen mit Annie Reich und Edith Jacobssohn. Bildung einer marxistischen Diskussionsgruppe mit Otto Fenichel, Erich Fromm, Georg Gerö und Edith Jacobson. Reich gehört außerdem zur „Truppe 1931“, einer Theatergruppe der kommunistischen Zelle der Künstler Kolonie am Ludwig-Barnay-Platz an. Hier ist Alfred Kantorowicz sein „Politischer Leiter“, Arthur Koestler der „Agit-Prop-Leiter“. Reich gründet den „Verlag für Sexualpolitik“. Beziehung zu der Tänzerin Elsa Lindenberg.
1932 Am 18. Juni 1932 wird Reichs scharfsinnige Faschismusanalyse nach seinem Vortrag Massenpsychologische Probleme innerhalb der Wirtschaftskrise am Berliner Psychoanalytischen Institut diskutiert.
1933 Reich wird als Jude und Kommunist von den Nationalsozialisten verfolgt. Max Eitingon erteilt ihm Hausverbot, da er fürchtet, dass eine Verhaftung Reichs in den Institutsräumen die Schließung des Berliner Psychoanalytischen Institutes zur Folge haben könnte. Wilhelm Reich wird in einer Vorstandssitzung im Sommer 1933 in Abwesenheit aus der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) ausgeschlossen. Annie und Wilhelm Reich trennen sich endgültig.
Wilhelm Reich und Elsa Lindenberg fliehen nach Kopenhagen. Weder in Dänemark noch in Schweden wird Reichs Aufenthalt länger als sechs Monaten geduldet. In Oslo findet er Exil.
Seine Bücher Die Massenpsychologie des Faschismus und Charakteranalyse erscheinen.
1934 Die Kommunistische Partei Deutschlands distanziert sich von Reich. Auf dem 13. Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) in Luzern hält er als Gast seinen letzten Vortrag.
In Oslo gibt Reich die „Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie“ heraus, kritisiert hier u.a. scharf den Anpassungskurs der DPG.
Er verbindet nun seine psychoanalytische mit der körperpsychotherapeutischen Arbeit und nennt seine Methode „Vegetotherapie“. Gertrud Meyer, eine führende Funktionärin der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, ist Reichs loyale Mitarbeiterin (bis 1941)
1935 Elektrophysiologische Experimente am Physiologischen Institut der Universität Oslo.
1936 Gründung des „Institut für Sexualökonomische Lebensforschung“ in Oslo. Bionenstudien.
1937 Freundschaft mit A. S. Neill („Summerhill“). Pressekampagne gegen Reich.
1939 Erzwungene Emigration in die USA. Sein Schüler Theodore Wolfe unterstützt ihn. Lehrauftrag an der New School for Social Research in New York. Trennung von Elsa Lindenberg; sie bleibt in Oslo. Eheschließung mit Ilse Ollendorff.
1940 Bau des ersten „Orgon-Akkumulators“.
1941 Albert Einstein interpretiert Reichs Forschungsergebnisse anders als Reich. Er zieht sich zurück. Reich setzt Akkumulatoren zur Krebsbehandlung ein.
1944 Peter, der Sohn von Reich und Ilse Ollendorff, kommt zur Welt.
1945 Die Orgon-Akkumulatoren, die Reich vertreibt, erfreuen sich in der amerikanischen alternativen Kulturbewegung besonderer Beliebtheit.
1946 Reich wird U.S.-Bürger.
1947 Durch einen reißerischen Artikel der Journalistin Mildred Brady aufmerksam gemacht, beginnt die Food and Drug Administration gegen Reich vorzugehen.
1948 1. Orgone Conference. Gründung der American Assiociation for Medical Orgonomy (AAMO). Bau eines Observatoriums auf Orgonon.
1950 Experimente mit radioaktivem Material mit verheerenden Folgen.
1951 Scheidung von Ilse Ollendorff.
1953 Wolkenbrecher-Experimente.
1954 Der Verkauf von Akkumulatoren wird verboten.
1955 Wilhelm Reichs neue Partnerin ist Aurora Karrer.
1956 Wegen Missachtung gerichtlicher Verfügungen wird Reich zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Die Akkumulatoren werden zerstört und Reichs Schriften verbrannt. Darunter befinden sich auch frühe Werke wie die Massenpsychologie des Faschismus.
3.11.1957 Wilhelm Reich stirbt an Herzversagen im Gefängnis in Lewisburg, Pennsylvania.
(unter Mitwirkung von Andreas Peglau)
Besuch in Yuzhynets, Ukraine, 16. Mai 2018
Wir, eine Gruppe von Freunden, reisten 2018 durch Galizien, die Bukowina und Bessarabien. Heute gehören große Gebiete dieser Regionen zur Ukraine und zur Republik Moldavien. Ein besonderes Augenmerk legten wir auf die jüdische Geschichte und ihre Spuren. Wir hatten Christian Herrmann[1] als Experten für unsere Reise gewinnen können, der sich seit Jahrzehnten um die Dokumentation der jüdischen Orte in Osteuropa verdient macht.
Aus Deutschland vertriebene Juden kamen im Mittelalter mit den expandierenden Polen in die Region. Das zaristische Russland etablierte einen „Ansiedlungs-Rayon“, außerhalb dessen Juden nur in Ausnahmefällen leben durften. Dieses Gebiet erstreckte sich vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer und bildete das Zentrum des europäischen Judentums. Hier fand während des Zweiten Weltkrieges zu großen Teilen die Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen und ihre Helfer statt. Wir besuchten alte Synagogen, jüdische Friedhöfe, Orte der Massenhinrichtungen, Mahnmale, jüdische Museen, ehemalige und neue jüdische Kultureinrichtungen, Orte, an denen die großen chassidischen Rebbes gewirkt haben. Wir erinnerten uns immer wieder an die Menschen, die hier lebten und nicht vergessen sein sollen, für mich war das auch Wilhelm Reich.
Ich wollte an den Ort, an dem Wilhelm Reich seine Kindheit und Jugend verbrachte, ich wollte gern nach Yuzhynets. Unsere Route an diesem 16. Mai: Ternopil – Hrymailiv – Sataniv – Husiatyn – Zalishchyky – Yuzhynets – Chernivtsi (Czernowitz)
Wir fuhren durch viel Landschaft, Hügel,
Felder, Walnussbäume und blühende Robinien am Wegrand, die Straßen staubten, die Fahrt zog sich endlos nach Yuzhynets. Als wir ins Dorf kamen, lag rechts von uns der See. Hier, so dachte ich, wird der Vater von Wilhelm Reich im Eis Wasser gestanden haben um zu sterben, was für eine Geschichte, was für ein Schrecken.
Das Dorf besteht aus einer breiten Straße und kleinen einzelnen Häusern am Rande der Straße.
Wir suchten jemanden, der Auskunft geben konnte: Wo lebten die Reichs bis zum Ersten Weltkrieg? Das war mehr als 100 Jahre her. Die Straße war leer, so machten sich unser ukrainischer Fahrer Vasil und Christian auf die Suche.
Währenddessen las ich für unsere Gruppe „Theorie und Orgasmus“ vor, einen Tagesspiegelartikel, den ich 2007 über Wilhelm Reich geschrieben hatte.
Christian und Vasil hörten Gesang im Kulturhaus, sie fanden einen kleinen Chor aus fünf Frauen. Die Frauen kamen mit und sangen für uns auf der Straße, wir antworteten mit einem deutschen Lied, sie sangen wieder auf Ukrainisch.
Video: Die Frauen von Yuzhynets
Mit freundlichem Dank an Ulrike Bauer
Sie sangen von einer jungen Frau mit roten Wangen oder zeigten sie uns die Tränen des Mädchens? Ich dachte an Wilhelms Mutter Cecilia Reich, ob die Frauen etwas von ihr wussten?
Das kann ich nicht sagen, aber die Frauen wussten, wonach wir suchten. Wir sollten zum ehemaligen Verwaltungshaus der Kolchose fahren, dort habe früher das Gutshaus gestanden. Ein Junge trieb zwei Kühe durch das Dorf. Kühe hatten die Reichs auch.
Auf einer Anhöhe fanden wir das Verwaltungshaus, links daneben eine Gartenlaube, dahinter
verwildert der ehemalige Gutsgarten.
Vor dem Haus ein sowjetisches Kriegsdenkmal für die gefallenen Soldaten des Großen Vaterländischen Krieges.
Es wurde nach der Unabhängigkeits-erklärung der Ukraine 1991 ukrainisch umgewidmet. Ein Kreuz in den Nationalfarben der Ukraine steht jetzt obenauf, an der Seite die ukrainische Fahne
Und vorne rechts eine kleine Tafel, die dem Helden der Sowjetunion, dem ukrainischen Kosmonauten Leonid Denissowitsch Kisim 1985 gewidmet wurde. Warum wohl, was war der Anlass? Es kam mir so vor, als ob das eine Verbindung zu Reich sei.
Kurz vor Reichs Tod sandte die Sowjetunion den ersten Sputnik ins All. In Reichs letztem Brief an seinen Sohn Peter, der nun genauso alt war wie er, als er in Yuzhynets seine Mutter an den Vater verriet, äußerte sich Reich am 22. Oktober 1957 herablassend über den Sputnik:
‚Der Sputnik ist ein nettes Spielzeug, das nun wie ein Ball, den man in die Wellen des Ozeans geworfen hat, hilflos herumtreibt. Nie wird daraus ein aktives, steuerbares Gerät werden, wie EA (mit Orgon-Energie betriebenes Raumschiff) eines ist.‘[1]
Ob der Kosmonaut Kisim so wie wir wegen Wilhelm Reich in Yuzhynets war? Hatte er sich über Reichs Hochmut geärgert? War er auf der Geheimmission zum Orgon-Energie betriebenen Raumschiff? Oder wollte er Blumen niederlegen am Denkmal, ist es der letzte Ort für seinen Vater? Leonid Denissowitsch Kisim wurde 1941 geboren, in dem Jahr überfielen Deutschland und Rumänien die Sowjetunion. Dreimal war Kisim im Weltraum. Für mich war es stimmig, bei Reich jemanden aus dem Kosmos zu finden.
Wie oft sind die Kriegsfronten über diesen Ort auf der Anhöhe gegangen? Im Mittelalter gehörte das Land zur Kiewer Rus, seit 1775 zu Österreich-Ungarn, ab 1918 zu Rumänien, 1940 wurde es durch den Hitler-Stalin-Pakt für ein Jahr sowjetisch, danach wieder rumänisch, 1944 wieder sowjetisch, Teil der Ukrainischen Sozialisten Sowjetrepublik. Seit 1991 gehört Yuzhynets zur Ukraine. Die deutsche Bevölkerung wurde 1940 nach dem Hitler-Stalin Abkommen nach Deutschland oder in deutsch besetzte Gebiete transportiert. Die jüdische Bevölkerung wurde 1941 bis 1943 weitgehend nach Transnistrien deportiert und starb dort zum großen Teil an den unmenschlichen Bedingungen. Vollstrecker des Völkermords an den Juden war hier Rumänien, welches mit Deutschland kollaborierte. Die rumänischsprachige Bevölkerung wurde in sowjetischer Zeit vertrieben. Es ist davon auszugehen, dass in Yuzhynets, seit Wilhelm Reich in den Ersten Weltkrieg zog, kein Stein auf dem anderen blieb und die Bevölkerung vollständig ausgetauscht wurde.
Reich war nie wieder hier gewesen, sein Anwesen wurde im Ersten Weltkrieg zerstört.
Wir setzten uns in die Gartenlaube. Wir hörten Cloudbusting von Kate Bush:
Cause every time it rains
You're here in my head
Like the sun coming out
Ooh, I just know that something good is gonna to happen.[2]
Wir sahen über das Kriegsdenkmal zum See. Und wir dachten an Wilhelm Reich, seinen Sohn Peter, die Frauen im Dorf und das Mädchen mit den roten Wangen und den Tränen …
[1]Zitiert nach Harry Mulisch, Das sexuelle Bollwerk. Sinn und Wahnsinn von Wilhelm Reich. Carl Hanser 1997, S. 178
Heike Bernhardt
Wilhelm Reich baute in Rangeley, einer kleinen Stadt in Maine, ab 1943 ein Forschungszentrum und eine Wohnstadt auf, die er Orgonon nannte. Unser Besuch in Orgonon liegt mehr als 20 Jahre zurück, was bleibt in der Erinnerung? Und woraus ist diese gestrickt?
Zwei amerikanische Freunde hatten die Reise durch Maine vorbereitet. Ich wollte Orgonon sehr gerne sehen und fand es am sinnvollsten, die beiden Freunde, die Reich nicht kannten, mit dem „Sexuellen Bollwerk“ von Harry Mulisch zu überzeugen. So erzählte ich den Roman nach. Das „Bollwerk“ ist ein Zitat aus einer kurzen Krankengeschichte von Freud, in der ein junger Mann versucht, ein verfrühtes sexuelles Erlebnis wieder zu verdrängen und nach Freud verschiedene Bollwerke dazu errichtet.[1] Die These von Mulisch ist, dass Wilhelm Reich sein Leben lang mit allem, was er tat, forschte und schrieb, und was vor allem um Sexualität kreiste, versucht, ein Bollwerk gegen die Erinnerung an das Fremdgehen seiner Mutter und seinem Verrat als kleiner Junge mit den schrecklichen Folgen zu schaffen. Nach Mulisch habe sich der kleine Reich, als er den Hauslehrer mit der Mutter sah, an dessen Stelle gesetzt. Die Szene sagte ihm, ein Fremdgehen mit der Mutter ist möglich. Für den kleinen Reich vollzog sich der Ödipus in doppelter Weise, nicht nur sein Vater starb, auch die geliebte Mutter. Zeitlebens habe für Reich die Psychose gedroht, die das sexuelle Bollwerk aufhalten sollte.
Die harte Verfolgung in den USA, nachdem Reich in Deutschland verfolgt worden war, das interessierte meine amerikanischen Freunde und wir brachen zu diesem wirklich weiten Abstecher auf.
Orgonon ist wohl der Ort auf der Welt, wo am meisten von Wilhelm Reich geblieben ist.
Trotz der vielen traumatischen Erlebnissen konnte er sich einen so schönen Ort schaffen. Es gibt ein Museum mit vielen originalen Gegenständen von Wilhelm Reich und ein weitläufiges Gelände in einer wunderbaren Landschaft. In dem Museum arbeiten Menschen aus der Gegend, die in ihre Gespräche die Erfahrungen der Einwohner von Rangeley mit Reich einfließen lassen. Die Anwohner sollen zeitgenössisch vom „Doc“, mal ehrfürchtig als Genie, mal nicht minder ehrfürchtig als Doktor Frankenstein gesprochen haben.
Was sahen wir?
In Orgonon stand ein riesiger Schneeschieber mitten auf der grünen Wiese. Es gibt sehr viel Schnee in Rangeley und kalte Winter.
Im Haus standen die Ski von Wilhelm Reich, hatte er sie aus Norwegen mitgebracht, oder schon aus Wien? Vermutlich stammen sie aus Maine. Daneben hing sein weißer Laborkittel.
Es gab ein Labor mit großen Fenstern in die Landschaft, rätselhaften Geräten. Es sah spannend aus, einladend, die Lust am Vermessen, hier wurde sie spürbar. An die schweren radioaktiven Verstrahlungen musste ich denken, auch das wird hier passiert sein. Das Arbeitszimmer von Wilhelm Reich: Gleich im Eingang hing eine gerahmte Fotografie von Freud, er selbst hatte sie für seinen Freund Wilhelm Reich signiert. Reich hat dieses Geschenk über seine vielen Fluchtstationen mitgenommen, er hat an Freud festgehalten, trotz allem, was ihm auch von Freud widerfahren war.
Hinter dem Haus auf der Anhöhe ist das Grab von Wilhelm Reich, es ist ein aus Feldsteinen gemauerter Sarkophag. Eine Büste von ihm steht auf diesem, daneben ein Cloudbuster, mit WR signiert. Der Cloudbuster lädt zum Rumkurbeln ein. Steht man hier, eröffnet sich der Blick ins weite Land, Wiesen, Wälder und Seen.
Am meisten überrascht haben mich die Ölbilder, ich wusste nicht, dass Reich auch gemalt hat. Es sind Landschaften, ich dachte an die Bukowina … aber ich war nicht sicher.
Wir sahen einen Raum mit dem Bett von Wilhelm Reich. Über dem Bett hing ein Bild, vermutlich hat er auch dieses Bild selbst gemalt: Ein springender lebensgroßer Mann, ganz in Rot, nackt mit erigiertem Penis. Es wirkte wie ein schrecklicher Alptraum.
War es der Hauslehrer, der in Yuzhynets auf die Mutters sprang, war es Reich an seiner Statt? War es Reich in seiner lebenslang gesuchten befreiten Sexualität, die so wenig befreit war? Wer hat in diesem Bett schlafen können? Reichs Bollwerk brach in Orgonon, er fühlte sich verfolgt, er tyrannisierte seine Mitmenschen, er vereinsamte. Er war krank und konnte keine Hilfe zulassen.
Hier wurde er verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Sein kleiner Sohn Peter war dabei.
Reich verfügte testamentarisch, sein Vermögen nicht in ein Orgonon-Forschungsprojekt, sondern in einen Wilhelm-Reich-Infant-Trust Fund zu geben. Jetzt, am Ende seines Lebens und nach seinem Tod, habe Reich durch die Stiftung für Kinder nach Mulisch eine Verbindung zu der Zeit vor der Katastrophe finden können, zu dem ganz normalem Kind, das er einst gewesen. Und so ist Orgonon heute auch mit Hilfe dieses Kinder-Treuhandfonds, ein Wilhelm-Reich-Museum, das Interessierte anzieht und Bildungsangebote macht. Umweltpädagogik, gewaltfreie Kindererziehung, Wilhelm Reichs Leben und Werk sind Schwerpunkte der Sommerkonferenzen.
Orgonon konnte ein guter Ort werden.
Und für alle, die die Reise auf sich nehmen: Sie können sich mit Ihrem Hund im ehemaligen Wohnhaus von Wilhelm Reich einmieten!
[1]Sigmund Freud: Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva‘. In Studienausgabe, Band 10, S. 36, S. Fischer 1994
Literatur:
Harry Mulisch, Das sexuelle Bollwerk. Sinn und Wahnsinn von Wilhelm Reich. Carl Hanser 1997, (Erstveröffentlichung 1973)
Peter Reich: Der Traumvater. Erinnerungen an Wilhelm Reich. Simon + Leutner 1997 (Erstveröffentlichung 1973)
https://wilhelmreichmuseum.org/cottages/
Mit Dank an Uwe Kaminsky für die Überlassung der Fotos aus Orgonon
Porträt von Wilhelm Reich. Fotograf: Ludwig Gutmann (1869–1943), gemeinfrei.
Lore Reich Rubin danke ich herzlich für die Familienbilder aus der Schlangenbader Str. 87
Für die Überlassung des Bildes vom IPV-Kongress 1934 Luzern (Tim N. Gidal) danke ich dem Jüdischen Museum Wien.
Die übrigen Bilder sind gemeinfrei.
Stadtplan
Gedenktafel:
Adresse: Schlangenbader Str. 87, 14197 Berlin
Sponsoren: Wilhelm-Reich-Gesellschaft e.V. und Psychoanalytiker von DPG und DPV
Datum der Enthüllung: 23.06.2007