(vorläufige Version)
Das Berliner Psychoanalytische Institut befand sich vom 30.9.1928 bis zum 14.6.1936 in Berlin -Tiergarten, Wichmannstraße 10.
Mindestens 130 hier ausgebildete oder wirkende Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker und die ihnen folgende Generation verließen das nationalsozialistische Deutschland.Die Meisten wurden auf Grund der nationalsozialistischen Rassengesetze dazu gezwungen. Einige gingen auch, weil sie davon überzeugt waren, dass sie unter nationalsozialistischen Vorzeichen nicht psychoanalytisch würden arbeiten können.
Einführung in den Film vom 11. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Oxford, von Sándor Lorand. Fortsetzung unter "Eitingon".
Mit freundlicher Genehmigung des Sigmund Freud Archives und der Library of Congress.
(PLATZHALTER)
https://www.dgpt.de/die-gesellschaft/geschichte-der-dgpt/psychoanalyse-1918-1975/
30.September 1928 wurden die neuen Räume in der Wichmannstr. 10 feierlich eingeweiht.
1930
(26.–29.4.) Der 5. AÄGP-Kongress wird in Baden-Baden abgehalten. Der 2. Internationale Kongress für Individualpsychologie findet in Berlin statt. Die AÄZP wird umbenannt in Zentralblatt für
Psychotherapie und ihre Grenzgebiete einschließlich der Medizinischen Psychologie und Psychischen Hygiene. Die Psychoanalytiker distanzieren sich sowohl administrativ als auch konzeptionell von
der AÄGP (Resolution von Ernst Simmel).
(28.8.) Sigmund Freud wird der Goethepreis der Stadt Frankfurt verliehen. Institutsgründung des Frankfurter Instituts der „Südwestdeutschen Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft“; enge
Zusammenarbeit mit dem „Institut für Sozialforschung“ (Max Horkheimer, Theodor Adorno) zur Weitervermittlung von Psychoanalyse in Lehranalysen und in Kursen, die an der Universität stattfinden –
ohne Therapeutenausbildung. Die in Frankfurt eingerichtete psychoanalytische Poliklinik muss 1932 wieder geschlossen werden. In Stuttgart organisieren Gustav Graber und Hermann Gundert eine
psychoanalytische Arbeitsgruppe. Die 2. Deutsche Zusammenkunft für Psychoanalyse findet in Dresden statt. Wilhelm Reich kommt aus Wien, seine Frau Annie folgt ihm später in das als
fortschrittlicher geltende Berlin. Franz Alexander geht in die USA, um in Chicago ein psychoanalytisches Ausbildungsinstitut nach dem Berliner Vorbild aufzubauen.
1931
(14.–17.5.) Anlässlich des 6. AÄGP-Kongresses treffen sich die Mitglieder in Dresden. Sándor Radó geht ebenfalls in die USA, Hanns Sachs und Karen Horney folgen. Diese erste
Emigrationswelle dient dem „Export“ des Berliner Instituts- und Ausbildungsmodells.
1932
(4.–7.) Der 12. IPV-Kongress findet in Wiesbaden statt. Theordor Reik emigriert aus Berlin nach Holland.
1933
(Ende März) der 7. AÄGP-Kongress, der vom 6. bis 9.4. in Wien stattfinden sollte, wird wegen der nationalsozialistischen Machtübernahme auf April 1934 verschoben. (21.3.) Eitingon holt Freuds Rat
in Bezug auf die nationalsozialistische Politik ein (Freud: „Eine traurige Diskussion“).
(6.4.) Ernst Kretschmer legt den Vorsitz der AÄGP nieder. C.G. Jung, sein Stellvertreter, übernimmt ihn und führt am 21.4.1933 die „direkte Mitgliedschaft“ ein.
(7.4.) Einführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums durch die
nationalsozialistischen Machthaber.
(7.4.) Eitingon ernennt vorsorglich Boehm und Müller-Braunschweig zu seinen Stellvertretern, falls ein „rein deutschstämmiger und christlicher Vorstand“ politisch gefordert würde.
(9.4.) Eine Verordnung zur Arisierung der Vorstände ärztlicher Organisationen tritt in kraft. (17.4.) Als designierter Vorsitzender der DPG ersucht Boehm Freud um seine Zustimmung zur Anpassung
der DPG an die NS-Politik.
(22.4.) „Nichtarischen“ Ärzten wird die Kassenzulassung entzogen.
(6.5.) Boehm und Müller-Braunschweig beantragen eine Arisierung des DPG-Vorstands; sie setzen sich nicht durch. Die Mehrheit der Mitglieder stimmt gegen die Änderung (8 pro, 15 kontra, 5 Enthaltungen). Die Hörerzahlen am Berliner Institut waren von 222 (Dez. 1931) auf 39 (Dez. 1933) zurückgegangen. Die Nachfrage nach therapeutischen Behandlungen bleibt konstant.
(10.5.) Bei der Bücherverbrennung in Berlin werden Freuds Schriften und die diverser anderer Psychoanalytiker verbrannt. Eine Kampagne „Wider die Psychoanalyse“ bringt die DPG in
weitere Bedrängnis.
(15.9.) Gründung der „Deutschen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“
(DAÄGP) unter dem „Reichsführer“, dem Psychiater Mathias Heinrich Göring, einem adlerianisch ausgebildeten Nervenarzt, verwandtschaftlich mit dem Reichsmarschall Hermann Göring verbunden – als
Landesgruppe der zur „überstaatlich“ erklärten AÄGP. Publikationsorgan ist das Zentralblatt für Psychotherapie. Göring wirbt um
Vertreter der Psychoanalyse und hofft auf Schultz-Henckes Mitarbeit.
(18.11.) In der Generalversammlung wird die Vorstandsumbildung der DPG beschlossen. Boehm und Müller-Braunschweig übernehmen jetzt die Leitung.
(31.12.) Eitingon verlässt Berlin. Bereits im September 1933 hatte er, zusammen mit den Berliner Kollegen Moshe Wulff, Anna Smeliansky und Ilja Schalit, in Jerusalem eine neue psychoanalytische
Vereinigung (Chewra Psychoanalytith b’Erez Israel) gegründet.
(2.8.) Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands wird gegründet.
1934
Aufgrund einer staatlichen Verordnung wird das „Berliner Psychoanalytische Institut“ (BPI) umbenannt in „Psychoanalytisches Institut“ und die „Poliklinik und Lehranstalt“ in „Ambulatorium und
Lehranstalt“. Die Hörerzahlen gehen drastisch zurück, die Zahl der Ausbildungskandidaten verringert sich, die Lehranalytiker Bernfeld, Eitingon, Fenichel, Hárnik, Reik und Simmel emigrieren und
darüberhinaus die Dozenten Steff Bornstein, Jeanne Lampl de Groot, Reich und Staub. Benedek, Jacobssohn, Kempner und Vowinkel werden als
Lehranalytiker neu optiert, als Dozenten Kemper, Mette, Ada Müller-Braunschweig und von Sydow. In der Folge bleiben von den neu Hinzugekommenen die vier Dozenten. Jung bietet sich als
„Seelenführer“ an, der sich mit seiner polemischen Unterscheidung von „germanischer“ und „jüdischer“ Psychologie für die Nationalsozialisten qualifiziert. M. H. Göring lässt das Berliner
Psychoanalytische Institut nach Angriffen von Gustav Bally auf C. G. Jung (Bally wirft Jung Kollaboration mit den Nationalsozialisten vor) überprüfen.
(12.5.) Der 7. AÄGP-Kongress findet statt.
(23.7.) Das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens wird erlassen.
(Aug.) 24 von 36 ordentlichen Mitgliedern der DPG hatten Deutschland verlassen. Die DPG bleibt zunächst bestehen.
(26.8.–31.8.) Auf dem 13. IPV-Kongress in Luzern sind Benedek, Boehm und Kemper
Referenten der DPG. (Dez.) Die DPG verfasst eine Resolution, die ihre Mitglieder zur politischen Abstinenz verpflichtet.
1935
(16.2.) Die DPG feiert das 15-jährige Bestehen des Berliner Psychoanalytischen Instituts. (27.–30.3.) Der 8.AÄGP-Kongress in Bad Nauheim wird gemeinsam von der Internationalen Allgemeinen
Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, ihr Präsident ist C. G. Jung, mit der Deutschen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie unter Leitung von M. H. Göring durchgeführt.
(3.–6.10.) Der 1. DAÄGP-Kongress in Breslau wird von dem Vertreter des deutschen Reichsärzteführers Wagner, Peschke, mit dem Apell eröffnet, dass der deutsche „Volkskörper“ nun Objekt der
ärztlichen Beeinflussung werden solle, aus dem die „Schlacke“
(„rassefremde und erbkranke Bestandteile“) ausgeschieden werden müsse.
(24.10.) Die Psychoanalytikerin Edith Jacobson wird der Mitgliedschaft der sozialistischen Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ beschuldigt und verhaftet. Boehm bittet IPV-Präsident Jones, nicht zu intervenieren, weil er fürchtet, staatliche Stellen damit auf die DPG aufmerksam zu machen und sie damit zu gefährden. Ein Protestschreiben der DPG versucht er, allerdings erfolglos, zurückzuziehen. Jacobson kann 1938 über Prag nach New York fliehen.
(11.11.) Jones berichtet Anna Freud davon, dass Psychoanalyse nicht verboten werden soll, wenn sie nur durch „Gentiles“ vertreten würde.
(1.12.) Ernest Jones präsidiert die Generalversammlung der DPG, in der beschlossen wird: 1.
die Gesellschaft nicht aufzulösen, 2. nicht aus der IPV auszutreten und 3. die jüdischen Mitglieder zum Austritt zu nötigen. 20 Mitglieder verlassen die Gesellschaft. Von den 56 Mitgliedern, die
noch 1932 gezählt wurden, sind nur 4 geblieben (+ 8 außerordentliche Mitglieder). Insgesamt fliehen etwa hundert Psychoanalytiker und Ausbildungskandidaten aus Deutschland. Die DPG-Mitglieder
Salomea Kempner, August Watermann und Karl
Landauer überleben ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten nicht. Noch bis 1935 wird „Psychoanalyse“ im Berliner Adressbuch als fachärztliches Behandlungsangebot genannt. Dann gibt der
Verband der Angestelltenkrankenkassen Richtlinien über die Anwendung von psychotherapeutischen Leistungen in der Kassenpraxis heraus, nach der Psychoanalyse („die eigentliche Psychoanalyse und
die von ihr abgeleiteten psychotherapeutischen Verfahrensweisen von Jung, Adler und Stekel usw.“) nicht mehr zu den kassenpflichtigen und kassenärztlich möglichen psychotherapeutischen
Verfahrensweisen gezählt wird.
1936
(8.3.) Boehm trifft Anna Freud in Brünn, um sich ihre und Freuds Unterstützung zu sichern. (18.3.) Boehm nimmt den Vorschlag der Medizinalabteilung zur Gründung eines gemeinsamen psychotherapeutischen Instituts an.
(19.3.) Oberregierungsrat Herbert Linden (NSDAP) schlägt M. H. Görin g die Kooperation mit Felix Boehm zur Schaffung eines Instituts vor, „das allen Zweigen der Psychotherapie gleichmäßig zur Verfügung stünde“.
(13.5.) Die DPG tritt aufgrund staatlicher Forderung aus der IPV aus, zieht den Austritt am 9.9.1936, ebenfalls staatlich gefordert, wieder zurück.
(26.5.) Die DPG beschließt, an einem vom Reichsinnenministerium konzipierten und ab 1939 von der Deutschen Arbeitsfront finanzierten „Deutschen Institut für psychologische Forschung und
Psychotherapie“ (dem sog. Göringinstitut, benannt nach seinem Leiter, Mathias Heinrich Göring) mitzuarbeiten. Die DPG-Mitglieder bringen ihre Bibliothek und ihr Mobiliar (aus dem Eitingonschen
Besitz) und vor allem ihre institutionelle und fachliche
Kompetenz ein und bilden damit das Grundgerüst dieser neuen Einrichtung, in der Freudianer, Neoanalytiker, Jungianer, Künkelanhänger und „unabhängige“ Psychotherapeuten (z.B. I. H. Schultz, von
Hattingberg) zusammenarbeiten. Oberster Dienstherr ist der Psychiater und Ministerialrat in de r Gesundheitsabteilung des Reichsministeriums des Inneren, Herbert Linden, der am 23.10.1941
„Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten“ wird und damit die Sterilisation und Ermordung von Geisteskranken zu verantworten hat. Das Institut wird am 14.6. gegründet, seine Adresse
ist zunächst Wichmannstr. 10 (also die der DPG), ab 1.7.1937 Budapesterstr. 29. Es soll eine „Deutsche Seelenheilkunde“ als eklektisches Gemisch aus den verschiedenen psychotherapeutischen
Theorien unter nationalsozialistischen Vorzeichen entwickelt werden. Liquidierung des psychoanalytischen Verlags in Leipzig.
(2.–7.8.) Der 14. IPV-Kongress findet in Marienbad statt. Das Reichsinnenministerium schafft den Berufsstand des „Behandelnden Psychologen“ (Psychotherapeut ohne ärztliche Approbation). Ihre
Qualifikation erreichen Kandidaten nach zweijähriger Ausbildung am „Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie“ (DI).
1937
Käthe Dräger, die sich in psychoanalytischer Ausbildung befindet, übernimmt die Leitung des im Untergrund agierenden Berliner Komitees der KPDO (Dissidentenströmung gegen die KPD). Sie verfasst
und verteilt antifaschistische Schriften und Flugblätter und unterstützt die Familien verurteilter Genossen. Ihre politische Aktivität muss sie in ihrer Analyse verheimlichen.
(28.5.) Alfred Adler stirbt in Aberdeen (Schottland) auf einer Vortragsreise.
(2.–4.10.) Der 9. Internationale Kongress für Psychotherapie findet in Kopenhagen statt. Das von Bjerre vorgeschlagene Thema „Rasse und Tiefenpsychologie“ wird aus Angst vor einer Konfrontation verworfen.
(10.11.) Göring will Psychoanalytikern keine Lehr- und Kontrollanalysen mehr übertragen.
1938
(20.3.) Nach der Besetzung Österreichs versucht Müller-Braunschweig, für die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV), den Internationalen Psychoanalytischen Verlag und das Wiener
Psychoanalytische Ambulatorium die Treuhänderschaft als Vertreter der DPG (für die Wiener) und als Vertreter des DI (für die Deutschen) zu übernehmen, und scheitert.
(4.6.) Sigmund Freud muss Wien verlassen. Vier seiner fünf Schwestern sterben in Konzentrationslagern. Von 102 Psychoanalytikern bleiben zwei in Wien.
(29.7.–2.8.) Der 10. Internationale Kongress für Psychotherapie findet in Oxford statt („Psychotherapie der einzelnen Lebensphasen“). C.G. Jung wird die Ehrendoktorwürde verliehen. In einem
14-Punkte-Programm stellt Jung das Resultat der Zusammenarbeit mit anderen psychotherapeutischen Richtungen als Kanon eines Lehrgebäudes dar, das sich als Gegenpol „wilder Psychotherapie“
versteht.
(1.–5.8.) Der 15. IPV-Kongress findet in Paris statt.
(19.11.) Staatliche Stellen erzwingen die Auflösung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Sie setzt ihre Arbeit jedoch am DI als „Arbeitsgruppe A“
fort. Die Psychotherapeutenausbildung am DI umfasst eine Lehranalyse (2–3 mal wöchentlich) und Teilnahme an den „3er Seminaren“ mit Vertretern von Freud, Jung und Adler.
Gedenktafel
25.8.2013 Sponsoren dieser Gedenktafel sind Psychoanalytiker und Freunde der Psychoanalyse
Datum der Enthüllung: 25.8.2013
Anlass: Sponsoren sind die Teilnehmer der 5. Deutschsprachigen Internationalen Tagung (DIPSAT) vom 28.09.2012
Mitwirkende: Ludger Hermanns, Louise Schmidt- Honsberg,
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