(vorläufige Version)
Das Berliner Psychoanalytische Institut (BPI) wurde 1920 durch die Berliner Psychoanalytische Vereinigung gegründet. Max Eitingon, der das Institut finanzierte, war sein Direktor. Das BPI war das weltweit erste Institut zum systematischen Erlernen der Psychoanalyse als Methode der Forschung und des Heilens. Von 1920 bis 1928 war das Institut im 4. Stock der Potsdamer Strasse 29 (heute 74) untergebracht.
„Man wird sich nicht zum Ziele setzen, alle menschlichen Eigenarten zugunsten einer schematischen Normalität abzuschleifen oder gar zu fordern, dass der ‚gründlich Analysierte’ keine Leidenschaften verspüren und keine inneren Konflikte entwickeln dürfte“ (Freud, 1937).
PLATZHALTER
https://www.dgpt.de/die-gesellschaft/geschichte-der-dgpt/psychoanalyse-1918-1975/
1920 bis September 1928
1920
(14.2.) Eröffnung der ersten psychoanalytischen Poliklinik und Lehranstalt der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung in der Potsdamerstraße 29 (heute Nr. 74), Berlin-Tiergarten. Statt auf
staatliche Hilfe zu warten, finanziert und leitet Max Eitingon die Einrichtung (erst ab 1930 heißt sie BPI). Ernst Simmel und Anna Smeliansky, die in der Poliklinik wohnt, sind seine ersten
Assistenten. Dozenten: Karl Abraham, Max Eitingon, Karen Horney, Ernst Simmel und Hans Liebermann.
(8.-10.9.) Der 6. IPV-Kongress findet in Den Haag statt. - Nach dem für Deutschland und Österreich-Ungarn verlorenen Krieg orientiert sich die IPV nach Westen. Als Folge der
politischen Veränderungen verlassen Franz Alexander, Therese Benedek, Jenö Hàrnik, Melanie Klein, Margaret Mahler, René Spitz und Sándor Radó in den kommenden Jahren Ungarn. Moshe Wulff kommt
(1927, nach der Radikalisierung der politischen Verhältnisse) aus der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik zurück nach Berlin, das er 1911 verlassen hatte, um in Russland eine
psychoanalytische Vereinigung zu gründen. (Herbst) Nach Austritt der freudianischen Psychoanalytiker aus der „Gesellschaft für angewandte Seelenkunde“ ändert diese ihren Namen in „Gesellschaft
für Vergleichende Individualpsychologie“ und tritt der „Internationalen Gesellschaft für Vergleichende Individualpsychologie“ (Alfred Adler, Wien) bei.
1922
(25.-27.9.) Der 7. IPV-Kongress findet in Berlin statt, im Haus des jüdischen „Brüdervereins gegenseitiger Unterstützung“. Der Kongress setzt mit den Beiträgen von Freud, Alexander, Abraham,
Deutsch, Ferenczi, Hermann, Hollós, Horney, Klein, Nunberg, Piaget, Rank, Radó, Róheim, Simmel und Spielrein wegweisende theoretische Impulse (der „große Aufbruch“, Schröter 2007). Sigmund Freud
ist zum letzten Mal persönlich auf einem psychoanalytischen Kongress anwesend. Das Vereinshaus des Brüdervereins wird im Dezember 1939 Sitz
des „Judenreferats“ von Adolf Eichmann. Heute erinnert ein als Bushaltestelle gestalteter „Mahnort“ an die von ihm organisierten Deportationen. Der Bushaltestelle schräg gegenüber, auf dem
Mittelsteifen, steht, in einem Betonrahmen eingefasst, die "Gradiva". Sie wurde anlässlich des 45. IPV-Kongresses von 2007 enthüllt (siehe gesonderter Beitrag)
(Dez.) In München findet der 1. Kongress für Individualpsychologie statt.
1923
Eitingon führt Ausbildungsrichtlinien ein und einen Unterrichtsausschuss (UA), dem Abraham, Eitingon, Horney, Müller-Braunschweig, Sachs und Simmel angehören. Damit wird das Berliner
Psychoanalytische Institut die erste Einrichtung, in der Psychoanalyse systematisch erlernt werden kann (mit Lehr-und Kontrollanalysen und einer theoretischen Ausbildung). Ein Stipendienfonds
unterstützt die Ausbildungskandidaten.
(April) Die Berliner Sektion des Internationalen Vereins für Individualpsychologie wird gegründet und durch den publizistisch besonders aktiven Fritz Künkel maßgeblich vertreten.
Erziehungsberatung als Fokus der Arbeit zieht einen großen Interessenkreis von Pädagogen und Lehrern an. Wilhelm Stekel gründet in Wien die „Organisation für unabhängige ärztliche
Psychoanalyse“.
1924
(21.–24.4.) Der 8. IPV-Kongress findet in Salzburg statt. Frieda Fromm-Reichmann eröffnet in Heidelberg (Mönchhofstraße 15) ein Sanatorium, scherzhaft „Thorapeutikum“ genannt, mit 15
Therapieplätzen. Orthodoxes Judentum und Psychoanalyse werden hier verbunden. 1928 muss das Sanatorium aus finanziellen Gründen geschlossen werden.
(1.9.) Psychoanalyse wird kassenrechtlich in der amtlichen Gebührenordnung (Preugo) verankert.
(11.–12.10.) Die 1.Deutsche Zusammenkunft für Psychoanalyse findet in Würzburg statt. (Nov.) Otto Fenichel und Harald Schultz-Hencke gründen in Berlin das „Kinderseminar“, ein informelles
Diskussionsforum der psychoanalytischen Ausbildungskandidaten.
1925
(Okt.–Dez.) In Frankfurt laden der Direktor des Neurologischen Instituts, Prof. Goldstein, und der Direktor der Inneren Klinik, Prof. von Bergmann, die Psychoanalytiker Landauer, Happel und
Reichmann zu einem an sechs Abenden stattfindenden Kolloquium unter Leitung von dem Psychiater Dr. Prinzhorn ein. Im Verlauf der Veranstaltung rückt die Diskussion um die Psychoanalyse an der
Universität „in den Mittelpunkt des medizinischen Interesses“.
(3.–5.9.) Der 9. IPV-Kongress findet in Bad Homburg statt. Im „Interkonfessionellen
Kreis“ treffen sich Arthur Kronfeld, Edith Jacobsohn, Harald Schultz-Hencke, Alexander Herzfeld, Walter Schindler, Manès Sperber, Werner Kemper, Karen Horney, Fritz Künkel und andere
Psychoanalytiker und Psychotherapeuten unterschiedlicher Richtungen. Der 2. Internationale Kongress für Individualpsychologie findet in Berlin statt. Theodor Reik, dessen Weg über die
Literaturwissenschaft zur Psychoanalyse Freud sowohl beratend als auch finanziell unterstützt hatte, wird in Wien der „Kurpfuscherei“ angeklagt. Sigmund Freud
verteidigt ihn mit seiner Schrift: Die Frage der Laienanalyse. Diese Kontroverse spaltet das amerikanische und europäische psychoanalytische Lager.
(25.12.) Karl Abraham stirbt.
1926
(24.3.) Uraufführung des UFA-Filmes „Geheimnisse einer Seele“ (Regie: G.W. Pabst). Die Verwendung dieses modernen Mediums zur Illustration der Wirksamkeit der Psychoanalyse hatte im Vorfeld zu
einem schweren Konflikt zwischen Karl Abraham und Hanns Sachs, den Befürwortern, und Sigmund Freud geführt, der es strikt ablehnte.
(17.–19.4.) In Baden-Baden findet der 1. Kongress der „Allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“ (AÄGP) statt, mit 537 Teilnehmern aus ganz Europa.
(24.4.) Umbenennung der „Berliner Psychoanalytischen Vereinigung“ in „Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft“ (DPG). Sie wird zum institutionellen Dach für weitere freudianische
psychoanalytische Gruppen, die in Frankfurt a. M. („Südwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft“ mit Karl Landauer und Heinrich Meng) in Leipzig (der aus der
„Gesellschaft für psychoanalytische Forschung“ hervorgegangene Arbeitskreis um Therese Benedek) und Hamburg (mit August Watermann, Nathan Costa und später Clara Happel) entstehen, und ist
zentralistisch am Berliner Psychoanalytischen Institut ausgerichtet.
(6.5.) Im Hotel Esplanade wird Freuds 70. Geburtstag großartig mit führenden Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, aus Politik, Wirtschaft, Kunst, Literatur
und Musik unter dem Motto „ ... der Zeitgeist ist unter uns“ gefeiert; der Jubilar erhält in Wien die Ehrenbürgerschaft. Siegfried Bernfeld kommt aus Wien nach Berlin und übernimmt am BPI den
Unterricht für Pädagogen. Heinrich Meng und Ernst Schneider gründen die Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik.Melanie Klein wird von Ernest Jones nach London eingeladen und bleibt dort.
1927
(27.–30.4.) Die AÄGP veranstaltet ihren 2. Kongress in Bad-Nauheim. Die Kongressteilnehmer beschließen einstimmig die Aufnahme von Psychotherapie in die ärztliche Ausbildung. (1.–3.9.) Der 10.
IPV-Kongress findet in Innsbruck statt.
(April) Simmel eröffnet ein psychoanalytisches Sanatorium in Berlin-Tegel (mit 25–30 Betten) zur Behandlung schwerer Neurosen, Süchten und Charakterfehlentwicklungen. Im August 1931 muss es aus
wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden. Harald Schultz-Henckes „Einführung in die Psychoanalyse“ löst „lebhafte Missbilligung“ aus (14.2.1950, Schultz-
Hencke an v. Baeyer, unveröffentl., Mitscherlich-Archiv).
(1.12.) Die „Allgemeine ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie“ (AÄGP) wird gegründet,
Vorsitzender ist Robert Sommer, Geschäftsführer Walter Cimbal. Die Vorstandsmitglieder sind Leonhard Seif, Ernst Simmel, Johannes Heinrich Schultz, Kurt Goldstein, Benno Hahn, Arthur Kronfeld,
Ernst Kretschmer und Wladimir Eliasberg.
1928
Das Urteil des Reichsversicherungsamts (30.9.1926, 10.2.1928) zur Invalidität des Neurotikers (damals als Synonym für „Hysteriker“) führt zur Aufnahme der Psychoanalyse in die Allgemeine Deutsche Gebührenordnung für Ärzte (Adgo).
(20.–22.4.) Zum 3. AÄGP-Kongress in Baden-Baden kommen 402 Mitglieder, davon 65 aus 9 anderen europäischen Ländern. Das Publikationsorgan der Gesellschaft ist die
Allgemeine ärztliche Zeitschrift für Psychotherapie und psychische Hygiene.
(30.9.) Umzug der psychoanalytischen Poliklinik und Lehranstalt in die Wichmannstraße 10 in Berlin-Tiergarten.
Gedenktafel
Adresse: Potsdamer Strasse 74, 10785 Berlin
Sponsoren dieser Tafel: Freunde der Psychoanalyse und Psychoanalytiker
Datum der Enthüllung: 24.09.2005
Mitwirkender: Ludger Hermanns
Zum Stadtplan
Potsdamer Str. 29, Landesarchiv Berlin, Not. 4 , Bestell-Nr. 214488 Bezirk Tiergarten, Potsdamer Str. Nr 30, Nr. 29
in Richtung Potsdamer Brücke
Potsdamer Str. 74, Aufnahme von Regine Lockot 2005