(Bearbeitungsstand vom 20.11.2021)
Franz Gabriel Alexander (ungarisch: Ferenc Gábor Alexander, * 22. Januar 1891 in Budapest, Österreich-Ungarn; gest. 8. März 1964 in Palm Springs, Kalifornien) war Psychoanalytiker und Arzt. Er gilt als „Vater“ der psychoanalytischen Psychosomatik und Mitbegründer der psychoanalytischen Kriminologie. Nach seiner Flucht aus Ungarn lebte er von 1919 bis 1930 in Berlin. Alexander war der erste Ausbildungskandidat am Berliner Psychoanalytischen Institut, später Dozent und geschätzter Lehranalytiker.
(Foto CC BY-SA)
Franz Alexanders dokumentierte Berliner Adressen
1921 Düsseldorfer Str. 77, 10719 Berlin (Wilmersdorf)
1922 Hauptstr. 72, 12159 Berlin (Friedenau)
1923 Ludwigkirchstraße 9A, 10719 Berlin (Wilmersdorf)
1925, 1927 Kurfürstendamm 206/207, 10719 Berlin (Wilmersdorf)
1929 Wilhelmsaue 121, 10715 Berlin (Wilmersdorf)
Zur Biographie
Franz Alexander, der kritische junge Individualist
Franz Alexander wurde als erster Sohn von insg. sieben Kindern (drei älteren Schwestern, einem jüngeren Bruder und zwei weiteren jüngeren Schwestern) von Bernát Alexander (1850-1927) und Regina Brössler in Budapest geboren. Bernát Alexander war bereits mit 28 Jahren Dozent für Philosophiegeschichte an der Budapester Universität geworden und hatte sich als Theaterkritiker, Shakespearekenner und Direktor der Theaterakademie einen bedeutenden Namen gemacht - obwohl sein Vater (also Franz Alexanders Großvater) ein fahrender Händler gewesen war, und seine Mutter (Franz Alexanders Großmutter )Waschfrau. Franz Alexander wuchs in dem "glamourösen New York Palace", einem Monumentalbau von Ende der 19.Jhds. auf (Vogelsänger 2011, S.158).
Franz Alexander bewunderte seinen Vater sehr. Trotzdem ging er seinen eigenen Weg und wandte sich nach ersten humanistisch-philosophischen Studien den Naturwissenschaften zu und studierte Medizin in Göttingen (1909) unter besondere Berücksichtigung neuer mathematischer und theoretisch-physikalischer Ideen. Als für seine spätere Entwicklung entscheidend gilt seine Begegnung mit dem Begründer der Phänomenologie Edmund Husserl. Bereits 1912 kam Alexander mit der Psychoanalyse in Berührung. Sein Vater war Herausgeber des Journals für Philosophie und bat ihn, eine Besprechung der Neuauflage von Freuds "Traumdeutung" zu verfassen. Einige Tage später wies Alexander den Wunsch seines Vaters mit den Worten zurück "Es mag nicht Philosophie sein, aber mit Sicherheit ist es nicht Medizin." (Vogelsänger 2011, S. 159)
Alexander konvertierte vom Judentum zum Katholizismus.
1913 promovierte er in Budapest mit dem hirnphysiologischen Thema: „Einfluss der Narkose auf den Gaswechsel“ und setzte seine biochemischen und physiologischen Untersuchungen fort.
Von der „Chemie des Blutes“ zur Psychoanalyse
Im Ersten Weltkrieg musste Alexander an verschiedenen Frontabschnitten in Italien Dienst tun. Als Militärarzt war er Leiter des bakteriologischen Feldlabors und verantwortlich für Malariaprophylaxe. Nach vierjähriger Militärzeit kehrte er 1919 zurück nach Budapest. Während seiner Assistenzarztzeit in der Psychiatrischen Klinik galt sein Interesse "ganz der Chemie des Blutes", "ohne das geringste Interesse für die Persönlichkeiten oder psychologischen Probleme der Patienten". Ja, er fühlte sich sogar "belästigt" von den ständigen Traumerzählungen einer ihm anvertrauten schizophrenen Patientin. Trotzdem befasste er sich noch einmal mit der Traumdeutung. Eine junge Kollegin und Freudschülerin beeindruckte ihn mit ihrem Wissen und tiefem Verständnis der Patienten und nun erschloss er sich einen neuen Zugang zu den Schriften Freuds (Vogelsänger 2011, S.162ff).
Psychoanalyse war in Ungarn – vor allem durch Sándor Ferenczis viel besuchte Vortragsreihe und verschiedene intellektuelle Salons (wie der „Galileikreis“, der „Sonntagskreis” und der BEM-BE-Kreis – siehe Sándor Radó) sehr populär. Die Räteregierung verschaffte der Psychoanalyse sogar ein neues universitäres Forum. Die Hochschullehrer des vergangenen Regimes wurden ihrer Ämter enthoben. Bernát Alexander war unter ihnen. Franz Alexander verließ Ungarn und ging über Wien nach Berlin. Er wurde Volontärassistent an der Charité, schwankte aber noch zwischen dem traditionellen organischen und dem psychoanalytischen Zugang zu seinen psychiatrischen Patienten. Schließlich empfand er die Psychoanalyse als identitätsstiftenden Kompromiss zwischen seiner naturwissenschaftlichen und humanistisch-psychologischen Orientierung (Vogelsänger 2011, S.165).
Franz Alexander, der erster Ausbildungskandidat am Berlin Psychoanalytischen Institut
In Berlin hatte gerade Max Eitingon das psychoanalytische Ausbildungsinstitut gestiftet und damit eine erste systematische psychoanalytische Ausbildung ermöglicht. Alexander begann hier als erster Ausbildungskandidat. Sein Lehranalytiker war Hanns Sachs. Nach Radó (Swerdloff, S.86 f) dauerte Alexanders Lehranalyse nicht länger als drei Monate und natürlich habe Alexander sich von Sachs nicht weiter beeinflussen lassen. Mit seinem Vortrag Metapsychologische Beiträge, am 17. Februar 1921, wurde Alexander in die Berliner Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Abraham, Sachs und Eitingon hielten ihn für den begabtesten der jüngeren Mitarbeiter. Am 26. Februar 1921 heiratete er Anita Venier (aus Triest, geb. 1894). Sie hatten drei Töchter (Silvia (in 4. Ehe) Huff, * 14.03.1921 gest. 04.06.2003, Francesca (Kiki) Anna Maria Levine * 22.10.1926 gest. Sept.1992, Daten der 3. unbekannt). 1924 wurde Alexander Dozent am Berliner Psychoanalytischen Institut. Sigmund Freud zeichnete seine Arbeit „Kastrationskomplex und Charakter“ mit dem literarischen Preis für ärztliche Psychoanalyse aus und Alexanders Studie zur „Genitaltheorie“ Ferenczis veranlasste Freud zu weiterer herzlichen Anerkennung: „Es ist gut zu wissen, dass es jemanden gibt, ... in dessen Kopf meine Abstraktionen Leben gewonnen haben und weiter wachsen werden“ (Freud an Alexander, 23. 07. 1926) – obwohl Alexander einige kritisch differenzierende Anmerkungen zur Freudschen Psychoanalyse vorgebracht hatte.
Als geschätzter Kollege und Analytiker eröffnet sich Franz Alexander eine Zukunft in den USA
Franz Alexander richtete zusammen mit dem Psychoanalytiker und Strafverteidiger Hugo Staub eine „Kriminalistische Arbeitsgemeinschaft“ ein, in der Psychoanalyse für Juristen vermittelt wurde.1927 erschien sein Buch Die Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit. Sándor Radó schätze in dieser Veröffentlichung einen ersten Versuch der Entwicklung einer Persönlichkeitspathologie auf der Grundlage der Freudschen Begriffe.
Als Lehranalytiker war Franz Alexander besonders bei Amerikanern beliebt, die zur psychoanalytischen Ausbildung nach Berlin kamen. Unter ihnen waren Thomas French, Georg Mohr, Alan Finlayson, Lionel Blitzten, Helen McLean, Jacob Kasanin, Abram Kardiner und Alfred Stern. In den USA verfügten diese Ärzte über einigen Einfluss und luden Alexander zum internationalen Hygiene-Kongress nach Washington (Mai 1930) ein. Robert Hutchins, Präsident der Universität Chicago bot ihm eine, auf ein Jahr begrenzte, Gastdozentur in Chicago an, die zur ersten Professur für Psychoanalyse in Amerika umgewandelt wurde. Während er von der medizinischen Fakultät feindselig empfangen wurde, brachte ihm die soziale Fakultät freundliches Interesse entgegen. Bereits am 8. Juni 1931 gelang Alexander die Gründung der Chicagoer psychoanalytischen Gesellschaft, zu deren Präsident er gewählt wurde. Dann begab er sich, zusammen mit dem Direktor der Judge Baker Stiftung, William Healy, zu einem einjährigen Forschungsaufenthalt "über das Verbrechen" nach Boston.
Franz Alexander exportiert das „Eitingon-Modell“ nach Chicago
Im Frühjahr 1932 begann die Ausbildung mit den ersten Kandidaten: Leo Bartmeier, Karl und William Menninger, Gregory Zilboorg, Catharina Bacon und Helen McLean. Am 3.Oktober 1932 konnte das Chicagoer psychoanalytische Institut, nach dem Berliner Modell, eröffnet werden. Zu seiner Stellvertreterin holte Alexander Karen Horney, seine ehemalige Berliner Kollegin, nach Chicago. Das „Chicago Psychoanalytic Institute“ (wie es auch heute noch heißt) wurde zum Zentrum einer einflussreichen Psychosomatik Schule, als deren Charakteristikum gilt, dass unbewussten seelischen Konfliktsituationen körperliche Reaktionen zugeordnet werden. Demnach weist also jeder emotionale Zustand sein eigenes physiologisches Syndrom auf. Die Rockefellerstiftung unterstützte Alexanders psychosomatische Forschung. 1938 wurde Alexander zum Professur für Psychiatrie der Universität Illinois ernannt. Unter dem Einfluss des 2. Weltkriegs, in dem sich vor allem psychosomatische Störungen zeigten (und nicht wie im 1. Weltkrieg Kriegsneurosen), entwickelte Alexander ein kurztherapeutisches Verfahren und sein Konzept der "korrigierenden emotionalen Erfahrung". Mit der Bedeutung der emotionalen Beziehung zwischen Therapeut und Analysand als dem entscheidenden Heilfaktor knüpfte er an die Budapester Schule Ferenczis an. Alexander wurde nun vorgeworfen, die Psychoanalyse zu "verwässern".
1954 folgte Alexander zunächst für ein Jahr einer Einladung an die Stanford University (Calif.), dem Center for Advanced Studies in the Behavioral Science ("Think Center"), siedelte 1956 ganz nach Südkalifornien über und war am Mount Sinai Hospital tätig. An der University of Southern California übernahm er den Lehrstuhl für Psychiatrie. Er starb überraschend an den Folgen eines grippalen Infekts und einer Lungenentzündung, die zum Herzversagen führte.
Im September 1966 wurde ihm zu Ehren ein Franz-Alexander-Lehrstuhl an der University of South California eingerichtet.
Einige wichtige Publikationen:
Franz Alexander verfasste 16 Bücher und 237 Artikel
1921 Kastrationskomplex und Charakter
1927 Die Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit.
1929 Zusammen mit Hugo Staub: Der Verbrecher und seine Richter. Ein psychoanalytischer Einblick in die Welt der Paragraphen.
1930 Psychoanalysis oft the Total Personality (Die Psychoanalyse der Gesamtperönlichkeit. Franz Alexander. Translated by Bernard Glueek and Bertram D. Lewin).
1939 Mitbegründer der Zeitschrift: Psychosomatic Medicine
1946 Zusammen mit Thomas French: Psychoanalytic Therapy.
1950 Psychosomatic Medicine. Its Principles and Applications.
1960 The Western eastern Mind in Transition
1966 Alexanders historische Studie zu Persönlichkeitspersönlichkeiten Psychoanalytic Pioneers (zusammen mit Eisenstein und Grotjahn) erscheint erst nach seinem Tod.
Literatur:
Hermanns L.M., Togay J.C. (2011): Der psychoanalytische Aufbruch Budapest-Berlin 1918-1920. Brandes&Apsel Frankfurt a.M., S.157 - 173
Peters, U. H. (1992): Psychiatrie im Exil. Die Emigration der dynamischen Psychiatrie aus Deutschland 1933 - 1939. Düsseldorf.
Radó, S. (1973): Psychoanalytic Movement. Oral History Research Office. Columbia University. Interviews mit
Bluma Swerdloff, am 16.03.1963, 06.04.1963, 27.11.1964, 29.11.1964, 12.12.1964, 30.12.1964, 30.01.1965, 08.02.1965 und 26.04.1965. Von Radó autorisiert am 29.Oktober
1966
Venier Alexander, I. (2015): The Life and Times of Franz Alexander: From Budapest To California. London (Karnac).
Vogelsänger, P. (2011): Zwischen analytischer Chemie und Psychoanalyse. Die ungarischen Pioniere der Psychosomatischen Medizin. In: Berger, A. Henningsen, F.,
Welten, V. M. (2013): A Feeling of Oneness With the World: On the House of Dr. Franz Alexander. In berfrois.http://www.berfrois.com/2013/12/on-the-house-of-dr-franz-alexander-volker-m-welter/
English Chronicle
1891 22nd January: Born in Budapest. His father, Bernát Alexander, was a professor for the history of philosophy, a theatre critic, an authority in Shakespeare and the director of the theatre academy. His mother was Regina Brössel. Alexander had three older sisters, a younger brother and two additional younger sisters.
1909 Studies in Göttingen of medicine, mathematics, physics and philosophy; among his teachers were Theodor von Karmann, Edmund Husserl and Martin Heidegger. He converts from Judaism to Catholicism.
1911 Medical doctorate in Budapest: “The influence of general anesthesia on the exchange of gases.” Biochemical research with Leo Liebermann and studies of physiology with Franz Tangel.
1913 Graduation as a doctor. His father draws his attention to Freud’s Interpretation of dreams.
1913 Institute for Hygiene in Budapest. Research in bacteriology.
1914 Army physician in World War I, at different parts of the front in Italy, head of the bacteriological field laboratory, responsible for malaria prophylaxis.
1919 Assistant at the Neuropsychiatric University Hospital in Budapest. It is only through the treatment of patients that he begins to value psychoanalysis. Revolution and soviet republic (Béla Kun) bring psychoanalysts into leading positions; counter revolution after 133 days (Horthy).
1920 Franz Alexander flees Berlin, with a short stay in Vienna. Honorary assistant at the Charité. First candidate at the Berlin Psychoanalytic Institute. Training analysis with Hanns Sachs.
1921 17th February : Franz Alexander becomes a member of the Berlin Psychoanalytic Society, with his paper Metapsychologische Beiträge (Metapsychological Contributions). He takes up Freud’s second instinct theory and links it with the laws of thermo dynamics. 26th February: Marries Anita Venier from Trieste, born 1894. Birth of their first daughter Sylvia, later married Dodds.His paper “The Castration Complex in the Formation of Character” is honoured by Freud with the literary prize for medical psychoanalysis.
1924 Lecturer at the Berlin Psychoanalytic Institute. Founding of the “Criminalistic Study Group”, together with Hugo Staub, psychoanalyst and defence lawyer. As training analyst Alexander is especially popular amongst the Americans, e.g. Thomas French, Georg Mohr, Alan Finlayson, Lionel Blitzten, Helen McLean, Jacob Kasanin and Alfred Stern.
1926 Birth of second daughter Francesca Alexandra (Lilly), later married Levine.
1927 "Psychoanalysis of the Total Personality".
1929 Together with Hugo Staub: "The Criminal, the Judge and the Public.”
1930 May: Invitation to the International Congress for Hygiene in Washington by Robert Hutchins, President of the University of Chicago.
1931 Guest lectureship in Chicago, initially limited to a year, which is then transformed to the first professorship for psychoanalysis in the United States. He is received with hostility by the medical faculty and with friendly interest by the sociological faculty. 8th June: Founding of the Chicago Psychoanalytic Society, with Alexander as its first president.Study year in Boston, research on crime, together with the director of the Judge Baker Foundation, William Healy.
1932 Spring: Start of the psychoanalytic training with Thomas French, George Mohr, Alan Finlayson and Lionel Blitzsten (trained at the Berlin Psychoanalytic Institute). Candidates are: Leo Bartmeier, Karl and William Menninger, Gregory Zilboorg, Catharina Bacon, Helen McLean.3rd October: Opening of the Chicago Psychoanalytic Institute with academic orientation, independent of the Psychoanalytic Society. Alexander appoints Karen Horney as his deputy.The Rockefeller Foundation supports Alexander’s psychosomatic research. Characteristic for the Chicago School of Psychosomatics is the assigning of psychic conflicts to somatic reactions.
1938 Alexander is appointed Professor in Psychiatry
1939 Co-founder of the Journal Psychosomatic Medicine.
1946 Together with Thomas French: Psychoanalytic Therapy. Alexander is accused of watering down psychoanalysis through his brief therapy methods and through his concept of the “corrective emotional experience.”The “Chicago School of Self Psychology” is seen as originating in the “Budapest School” (Ferenczi)
1949 Fundamentals of Psychoanalysis.
1950 Psychosomatic Medicine. Its Principles and Applications.
1954 Invitation to the Stanford University in California, Centre for Advanced Studies in the Behavioural Science, “Think Centre”, initially for a year.
1960 Western Mind in Transition, a biographical study.
1964 8th March: Alexander dies suddenly as a result of influenza and pneumonia and a subsequent heart failure.
1966 September: The new Franz Alexander University Chair is filled.Alexander’s historic study of psychoanalyst personalities Psychoanalytic Pioneers (together with Eisenstein and Grotjahn) only comes out after his death.
Franz Alexander published 16 books and 237 papers.
(Translated by Wilhelm Skogstad)
Für die Überlassung der Bilder vom IPV-Kongress 1934, Luzern (Tim N. Gidal) danke ich dem Jüdischen Museum Wien
Dank an Volker M. Welter für das Foto von 1955.
Zum Stadtplan
Gedenktafel:
Adresse: Ludwigkirchstraße 9a, 10719 Berlin
Sponsoren: Freunde der Psychoanalyse und Psychoanalytiker
Datum der Enthüllung: 27.06.2004
Anlass: European Conference on Psychosomatic Research
Mitwirkende: Dr. Wolfram Keller, Dr. Heike Bernhardt